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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartens
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schon als Kind gefragt habe, warum die Krönung eines so delikaten und begehrten Körperteils wie der Brust ausgerechnet als Warze bezeichnet wurde. Warzen kannte ich als unangenehme Druckstellen unter den Füßen, manchmal auch an den Händen, die vereist oder mit brennbaren Chemikalien weggeätzt wurden. Manche Kenner empfahlen auch Zahnpasta gegen die Warzen, aber nur die ohne Streifen. Es muss ein Frauenfeind gewesen sein, der diesen Begriff für eines der zartesten Gewebe prägte, das der Mensch kennt.
    Dabei wussten sensible Dichter wie Clément Marot, der von 1496 bis 1544 lebte, doch schon vor Jahrhunderten, wie man »Das schöne Brüstchen« zu preisen hatte. Der feinfühlige Franzose hat die Frauen gekannt!
    Ich stehe vor einem Ständer mit den besonders exklusiven BHs und kann in diesem Moment nicht anders, als die Verse zu deklamieren. Erst beginne ich etwas schüchtern, dann werde ich lauter und rezitiere mit fester Stimme. Schließlich bleiben sogar ein paar Besucherinnen des Geschäfts stehen, wahrscheinlich sind doch einige dabei, die ein wenig Deutsch können und erkennen, dass es sich hier um einen Worterguss der reinsten Liebe handelt:
    »O Brüstchen, weiß wie Ei und Kreide,
    O pralles Brüstchen, blank wie Seide,
    O Brüstchen, das der Rose Pracht
    Und alle Schönheit schamrot macht.
    O Brüstchen fest: Nur Brüstchen? Nein,
    Ein Kügelchen von Elfenbein
    Auf dessen Mitte, sanft gespitzt,
    Ein Kirschlein, eine Beere sitzt.
    O Brüstchen, du bezeugst der Welt,
    Wie’s um den ganzen Leib bestellt,
    Wenn man dich sieht, zuckt ein Gelüst
    In jede Hand, die männlich ist.
    Verblüffend, dass mir diese Zeilen hier in der Ferne, aber so nah an ihrem Entstehungsort einfallen, in einem französischen Fachhandel für Leibwäsche. Aber wahrscheinlich inspiriert mich Paris, die Stadt der Liebe und der Weißbauchunken. Ich entdecke ein wunderschönes, cremefarbenes Negligé, das könnte Clara doch gefallen. Wie gut würde sich das von ihrer blassen, holsteinischen Rückenhaut abzeichnen.
    Ich unternehme einen neuen Versuch und frage eine Verkäuferin, ob sie es für mich anprobieren könnte. »Excusez, Madame?« Ich halte ihr das Hemdchen hin. Sie guckt mich an, als ob gerade Außerirdische in ihrer Abteilung gelandet wären.
    »Probez vous? S’il vous plaît?« Ich radebreche vor mich hin, aber die kapiert überhaupt nichts. Ein allerletzter Versuch, ich halte ihr das Hemd vor den Körper, ganz sittlich, ich schwöre es. Ich halte das Hemd zart an den Trägern fest, auf Höhe ihrer Schultern versuche ich es mit einer Hand bei ihr abzulegen, um dann auf sie zu zeigen. Kann man deutlicher machen, dass sie es doch bitte, bitte für mich anprobieren soll? Als Dienstleistung, ich kaufe es ja auch, wenn es passt.
    »Iiih«, sie weicht zurück. Und dann schreit sie auch noch, diese hysterische Gans.
    Die beiden Herren in den dunklen Anzügen mit ihren albernen Sonnenbrillen und dem Handyknopf im Ohr habe ich so schnell nicht kommen sehen. Sie fassen mich entschieden am Arm und geleiten mich zur Tür. Ist ja gut, ich habe schon verstanden. Kann ich ja nicht ahnen, dass die hier so empfindlich sind.
    An der Tür lassen sie mich wieder los, aber sie stellen sich so eindeutig hin, dass mir klar ist, dass ich nicht mehr zurück ins Geschäft soll.
    Hinter ihnen kommt eine attraktive dunkelhaarige Frau auf mich zu. Hosenanzug, groß, dunkler Teint, vermutlich mit karibischem Einschlag. Sie hat eine Tasche dabei. Wahrscheinlich will sie sich im Namen des Hauses für mich entschuldigen und das Hemd für mich anprobieren, die Statur von Clara hätte sie ungefähr, alles wird gut.
    Sie gibt mir die Hand, stellt sich vor: »Othoniel, guten Tag, ich bin Dolmetscherin«, sagt sie in fast akzentfreiem Deutsch, und sie ist bezaubernd. Vielleicht kann ich sie nach Dienstschluss zum Essen einladen, wenn sie das Hemd fertig für mich anprobiert hat.
    »Sie haben Hausverbot, mein Herr, damit wir uns verstehen.«
    Wahrscheinlich muss sie jetzt auf cool machen, und sobald die beiden Bulldoggen mit den Sonnenbrillen weg sind, wird sie mich fragen, wo wir uns heute Abend treffen werden. Ich bin bereit, das Spiel mitzuspielen.
    Sie überreicht mir die Tüte mit dem Unterhemd, das ich vorhin schon ausgesucht und bezahlt habe, und sagt: »Das war das letzte Hemd, das sie hier gekauft haben.«

Pech im Spiel
    Clara hat Raffael einfach auf der Straße stehen lassen, nachdem er ihr auch noch hatte weißmachen wollen, dass sie auf dem

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