Betrügen lernen
die Tümpel und Brackwasser der Provence.
Ich bin noch voller Anregungen von der Tagung, die eine spannende Sitzung nach der anderen geboten hat, und stürze mich am späten Nachmittag ins Pariser Getümmel. Ich kann mich jetzt auf keinen Fachbeitrag mehr konzentrieren, ich muss raus. Lieber will ich Clara etwas Schönes mitbringen aus der Stadt der Liebe. Gleichzeitig bin ich aber noch aufgewühlt von den Vorträgen. Immer ging es um Lockrufe, um Fortpflanzung und um vielversprechende Strategien der Partnerwahl. Das sind zwar mir seit Jahren vertraute Forschungsgebiete, aber dennoch nimmt es mich diesmal etwas mehr mit als sonst und hält meine Gedanken beweglich, ich bin schließlich auch nur ein Mann.
Ich gehe in ein Unterwäschegeschäft und beschließe, für Clara ein Negligé zu kaufen, einen Hauch von Nichts oder am besten noch weniger. Die Stoffe sind sündhaft teuer hier, aber ich habe ja schließlich auch etwas davon. Ich taste mich über T-Shirts und Pullover heran an das, was ich eigentlich will. Radebrechend versuche ich der Verkäuferin mit meinem Küchenfranzösisch zu vermitteln, dass meine »Copine« in etwa dieselbe Figur habe wie sie, also die Verkäuferin. Es soll eine Überraschung für Clara werden. Versteht sie die Andeutung? Gehe ich zu weit?
Zu Unterwäsche habe ich ein entspanntes Verhältnis. Hemden, Leibchen, Büstenhalter, Bodys und Slips genussvoll anzuschauen gehört für mich in die Manufaktum-Kategorie: Es gibt sie noch, die guten alten unschuldigen Vergnügen. Das ist in Ordnung, das ist okay.
Deshalb sind auch die Wäschekataloge und -prospekte der großen Kaufhäuser die Lektüre wert. Noch besser ist es, die guten Stücke in natura zu sehen, wie in diesem wundervollen Pariser Kaufhaus. Schon in meiner Jugend war ich dem ersten erwachenden Sehnen bei einem intensiven Studium des Otto- oder des Quelle-Katalogs begegnet. Die Damenunterwäsche fand sich immer in der Mitte der opulenten Werke. Kurz danach kam der Heimwerkerbedarf.
Es gab typische Stellungen, in der die Wäsche in allen Katalogen von den Models präsentiert wurde. Die hatten an ihrer rechten Hüfte oft einen Knoten ins Unterhemd gemacht oder den Finger dort spielerisch in ihr Trägerhemd gesteckt. Wahrscheinlich sollte das neckisch aussehen. Die BH-Formen in den Katalogen waren mir zwar meistens egal, aber ich fand schwarz viel besser als weiß, denn weiß waren ja auch meine Unterhosen, das kannte ich. Schwarz war hingegen aus einer fremden Welt, in der ungeahnte Abenteuer auf mich warteten, verrucht und exotisch. Noch besser als schwarz gefielen mir aber diese halbtransparenten Modelle, durch die man mehr sehen konnte als nur gewölbte Stickereien oder Jacquardspitzen. Kein exklusives Modell kam damals ohne Jacquardspitzen aus.
Es versetzte mich immer in jugendliche Ekstase, wenn ich im Quelle- oder Otto-Katalog einen BH sah, durch den sich die Brustwarze nicht nur wie eine Mensch-ärgere-Dich-nicht-Figur abhob, sondern wenn auch die Farbe und Begrenzung des Warzenhofs durch den dünnen Stoff schimmerte und wie eine Figur im Nebel zu erkennen war. Eine Zeit lang ging ich im Kaufhaus meiner Heimatstadt ziemlich regelmäßig zum Kartenvorverkauf für diverse Konzerte. Um dorthin zu gelangen, musste man allerdings an den Ständen mit der Damenunterwäsche vorbei. Ich traute mich nie, stehen zu bleiben, aber indem ich sehr oft das Musikprogramm unserer Stadt studierte, bekam ich auch so einen ganz guten Überblick über das Angebot auf dem Dessoussektor.
Welcher Gegensatz sich da auftat zu den Frotteeschlüpfern, die ich von den Mädchen meiner Klasse aus dem gemeinsamen Sportunterricht kannte! Schon damals beschlich mich allerdings der Verdacht, dass diese feinen Stoffe und raffinierten Spitzen aus Katalog oder Kaufhaus nicht von normalen Frauen getragen, sondern hauptsächlich für Models entwickelt und nur bei den Katalogaufnahmen getragen wurden.
Die Mädchen, die wir beim Schulsport zu Gesicht bekamen, trugen meistens dickes Textil, und die Höschen waren an der Seite mindestens so breit wie bei den Kugelstoßerinnen aus dem Ostblock, die bei Olympischen Spielen antraten. Die wahrscheinlich von Fernsehsendern erfundene Vorschrift, dass die Hüftbreite von Höschen zumindest beim Beachvolleyball ein bestimmtes Maß – ich glaube, es sind drei Zentimeter – nicht überschreiten darf, setzte sich erst viel später durch, hat aber die Wurfdisziplinen bis heute nicht erreicht.
Ich weiß noch, dass ich mich
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