Betrug beim Casting
mehr schief gehen.«
Marie warf das Kosmetiktuch in den Papierkorb. »Habt ihr schon eine Strategie? Ich hab da nämlich eine Idee.«
Ein Rauswurf und ein neuer Anfang
Marie sah auf ihre Armbanduhr: 14:35 Uhr. Die Drehtür des Firmengebäudes bewegte sich, und wie erwartet kam Frau Freiberg heraus. Gut gelaunt ging sie an Marie vorbei, sah ihr mitten ins Gesicht, ohne zu grüßen, und bog in den Schillerpark ein.
Marie musste grinsen. Ramonas Mutter hatte sie nicht erkannt! Ungeduldig wartete Marie ein paar Minuten, dann riss sie sich die schwarze Perücke vom Kopf und setzte die Sonnenbrille ab. Beide Sachen ließ sie in den tiefen Taschen ihres Mantels verschwinden.
»Der Count-down läuft«, murmelte sie. Unauffällig drehte sie sich noch mal um. Auf der anderen Straßenseite hatte Franziska ihr Fahrrad auf den Kopf gestellt und bastelte daran herum. Fünf Meter weiter stand Kim vor dem Schaufenster der Espresso-Bar und trat fröstelnd von einem Bein aufs andere. In der letzten Nacht waren die Temperaturen in den Keller gefallen, und tagsüber war es nicht wesentlich wärmer geworden. Dazu kam ein ekliger, eiskalter Regen.
Marie straffte die Schultern, klemmte den schwarzen Schirm ihres Vaters unter den Arm und ging auf die Drehtür zu. Sie betrat den Eingangsbereich so selbstverständlich, als würde sie jeden Tag dort zur Arbeit gehen. Im Aufzug, den sie mit ein paar Geschäftsmännern in dunklen Anzügen teilte, starrte sie betont gelangweilt Löcher in die Luft. Als der Lift im siebten Stockwerk hielt, öffnete sie ihren Mantel, strich den grauen Bleistiftrock glatt, der sie mindestens zwei Jahre älter machte, und trat hinaus in den Flur. Franziska und Kim hatten ihr genau beschrieben, wo das Sekretariat war. Sie musste also nicht mal nach dem Weg fragen. Auf dem Flur begegneten ihr zwei coole Typen, die höchstens Anfang zwanzig waren, mit Edel-Tattoos auf den Oberarmen und Kopfhörern im Nacken.
»Hi, bist du neu hier?«, fragte der eine und grinste Marie an.
»Nein«, sagte Marie. »Ich bring nur meiner Tante was vorbei, Frau Thomas.«
Die beiden stießen sich an und lachten.
»Na dann, viel Spaß bei deiner Tante!«, sagte der andere. »Die hat ja echt Haare auf den Zähnen.«
»Wieso?«, sagte Marie. »Zu mir ist sie immer supernett.«
Die Typen gingen grinsend weiter. Marie atmete tief durch. Das waren ja heitere Aussichten. Hoffentlich würde die Sekretärin ihr die Lügengeschichte abnehmen!
Entschlossen klopfte sie an der Tür des Sekretariats.
»Herein!«, rief eine nicht gerade freundlich klingende Stimme.
Marie machte schwungvoll die Tür auf und setzte ihr schönstes Lächeln auf. »Guten Tag, Frau Thomas! Mein Name ist Marie Grevenbroich.«
»Ja, und?«, fragte die Sekretärin, die sich gerade eine Zigarette anzündete.
Marie musterte sie kurz von oben bis unten. Sie war bestimmt schon über vierzig, hatte dunkelbraune Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst hatte, und einen Damenbart.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung«, redete Marie unbeirrt weiter. »Mir ist da was ganz Dummes passiert. Stellen Sie sich vor, ich war heute Morgen in der Espresso-Bar gegenüber und hab einen Latte Macchiato getrunken. Das mache ich immer vor der Arbeit. Da stellt sich plötzlich Michael Martens neben mich. Ich habe ihn sofort erkannt, weil er doch so oft in der Zeitung ist. Wir kamen ins Gespräch und haben ein bisschen geplaudert. Er wollte sogar meine Telefonnummer haben.«
Frau Thomas guckte genervt auf ihre Armbanduhr.
Marie strahlte sie an. »Ich werde Sie nicht mehr lange belästigen, das verspreche ich Ihnen! Also, Michael Martens hatte es auf einmal eilig, er stürzte seinen Cappuccino hinunter und ging schnell hinaus. Ich sah ihm nach, und als er längst weg war, fiel mir auf, dass er seinen Regenschirm vergessen hatte. Ich bin natürlich sofort auf die Straße gerannt, aber es war zu spät. Er war schon verschwunden. Leider musste ich dann gleich zur Arbeit, aber jetzt bin ich hier und wollte Michael Martens seinen Schirm zurückbringen.«
Die Sekretärin drückte ihre halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. »Danke! Geben Sie den Schirm mir. Herr Martens ist gerade in einer Besprechung.«
Marie presste den Schirm an sich und schüttelte den Kopf. »Nein, nein! Ich bestehe darauf, den Schirm Michael Martens persönlich zu überbringen. Ich warte gerne, das ist überhaupt kein Problem!«
»Wie Sie wollen«, sagte Frau Thomas. »Das kann aber dauern!«
Weitere Kostenlose Bücher