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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Trivers
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geworden; ich fordere ein höheres Signifikanzniveau und bessere Methoden, bevor ich einen Befund anerkenne. Natürlich ist mein logischer Geist heute schwächer, aber ich glaube, ich verbiege die Logik nur selten so, dass sie zu meinen persönlichen Bedürfnissen passt. Für Wissenschaftler ist ein solches Verbiegen meist die Folge der Konkurrenz mit Kollegen um Anerkennung; ihr bekanntermaßen »zartes Ego« lässt viele die Arbeit derer herabwürdigen, die mit ihnen um ähnliche Nischen in ihrem Fachgebiet konkurrieren oder sie ganz allgemein in den Schatten stellen. Mir kam es immer absurd vor, dass man sich von solchen kleinlichen persönlichen Bedenken abhalten lässt, die Wahrheit zu verstehen; schließlich ist dies angeblich der Zweck unserer Arbeit. Aber die Neigung, sich selbst zu verherrlichen und die Leistungen anderer kleinzureden, ist hier ebenso stark wie in allen anderen Lebensbereichen.
    Mir ist jedoch aufgefallen, dass ich heute weniger hohe Maßstäbe an meine eigenen Argumente anlege, wenn ich sie offensiv vertreten will. Es macht mir offenbar weniger aus, als Dummkopf zu erscheinen, und deshalb kann ich damit leben, dass der Anteil törichter Gedanken in meinen Aussagen im Vergleich zu wahren Einsichten zugenommen hat. Dies halte ich für eine Alterserscheinung. Gerät man in jungen Jahren in den Ruf, ein Dummkopf zu sein, haben die Menschen später ein sehr langes Gedächtnis. Benimmt man sich jedoch im hohen Alter töricht, sagen die Leute nur: »Nun ja, natürlich ist er in letzter Zeit ein wenig wunderlich geworden.« Andererseits kann im hohen Alter durchaus eine gewisse Weisheit hinzukommen; die meisten unserer Verwandten sind jünger und damit gleichermaßen stark mit beiden Seiten unseres Genoms verwandt, was wichtige Auswirkungen auf die fernere Zukunft hat, die wir vielleicht noch erleben möchten.
    Soll man die eigene Selbsttäuschung
bekämpfen?
    Bevor wir uns mit dem Thema beschäftigen, können wir uns durchaus fragen, ob wir uns überhaupt die Mühe machen sollen, gegen Selbsttäuschung anzukämpfen. Sie wurde von der natürlichen Selektion begünstigt, damit wir uns selbst und andere besser täuschen können – warum also sollten wir solchen Neigungen in uns entgegenarbeiten? Sie dienen unserem eigenen Evolutionsinteresse. Es ist mit Sicherheit nützlich, wenn wir unsere Selbsttäuschung strategisch anpassen – und sie in Situationen einsetzen, in denen sie wahrscheinlich am wirksamsten ist –, aber warum sollten wir sie ganz allgemein bekämpfen? Verletzen wir damit nicht unsere Bindung an das evolutionäre Selbstinteresse?
    Meine simple, ganz persönliche Antwort lautet: Es ist mir völlig egal. Selbsttäuschung dient der Täuschung und verstärkt sie, aber mehr Täuschung ist nicht das, was ich möchte. Ich glaube nicht daran, dass man das eigene Leben, die eigenen Beziehungen oder die eigene Gesellschaft auf Lügen aufbauen kann. Täuschung in Verbindung mit Selbsttäuschung scheint sogar ein noch geringeres moralisches Ansehen zu genießen als die einfache Täuschung allein, denn durch einfache Täuschung wird nur ein Lebewesen hinters Licht geführt – in Verbindung mit Selbsttäuschung dagegen sind es zwei. Und indem ich mich selbst täusche, schädige ich auch mein eigenes Denken oder meine innere Struktur. Wir finden uns damit ab, dass wir unser eigenes Verhalten auf falsche Aussagen stützen, und das hat negative Auswirkungen, die sich nur schwer voraussagen lassen, aber im Laufe der Zeit immer stärker werden.
    Man sollte daran denken, dass die Evolution uns auch dahingehend selektiert hat, zu vergewaltigen, wenn sich die Gelegenheit bietet, Aggressionskriege zu führen, wenn es uns nützt, und unsere eigenen Kinder zu misshandeln, wenn wir uns davon einen Gewinn versprechen; dennoch begehe ich keine dieser Taten, ganz gleich, wie stark sie in der Vergangenheit begünstigt wurden. Oder, wie ein Evolutionsforscher mir sagte: Er sei seinen Genen egal, und das Gleiche empfinde er auch ihnen gegenüber. 1
    Ein Gedanke, der mir immer wieder durch den Kopf geht, ist die Vorstellung von einer stabilen Evolutionsstrategie, das heißt einer Strategie, die man aus einem (gut definierten) Evolutionsspiel nicht verdrängen kann. Solange Ehrlichkeit oder das Bemühen darum und die Verringerung der Selbsttäuschung oder das Bemühen darum Strategien sind, die sich nicht ausrotten lassen, überlasse ich das langfristige evolutionäre Ergebnis gerne der Zukunft. Sollte meine

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