Betthupferl: Roman (Fraueninsel-Reihe) (German Edition)
Absterben des Motors vergeht höchstens eine Minute, aber sie kommt mir länger vor als die komplette letzte Woche. Ohne Antrieb ist die CAROLINE absolut manövrierunfähig, und während sie nach hinten absackt, sitze ich da wie vom Donner gerührt, mit dem Handy in der Hand, ohne Plan, wen ich jetzt anrufen soll. 112? Den Janni? Hab ich eigentlich Bastis Nummer? Das Wasser im Boot steigt viel zu schnell, Glasreiniger, Putzeimer und Wattestäbchen schwimmen obenauf, und weil ich wahrscheinlich abgesoffen bin, bevor ich noch eine einzige Nummer eingetippt habe, klappe ich lieber die Sitzbank hoch, unter der die Rettungswesten liegen, die ich vor ein paar Minuten noch sorgfältig abgewischt und zusammengelegt habe, und nehme mir die oberste heraus. Und während das Boot kaum noch hin und her geworfen wird, weil es immer tiefer sinkt, warte ich auf meinen Untergang.
»JOSEPHA!«
Auf dem Kamm der Welle vor mir erscheint der Bug eines silbernen Kahns, mit zwei Menschen drin, die sich an den Stangen festhalten, die am Rand festgeschweißt sind. Ein Fischerboot.
»Den Bootshackl, schnell!«
Noch bevor sich der Sonnfischerkahn neben mich legen kann, greift sich die Kati die Spitze des Enterhakens, den ich ihr entgegenhalte, springt mit einem Seil in der Hand auf den Bug der CAROLINE und befestigt es in einem Affenzahn an einer Öse, die dort wegsteht wie ein Mercedesstern.
»So ein Scheißboot«, schreie ich ihr fassungslos entgegen, »das ist absolut nicht fahrtüchtig, läuft einfach voller Wasser!«
Kati ist vollends damit beschäftigt, das Schicksal der CAROLINE als Chiemsee-Titanic abzuwenden, und ignoriert mein Schimpfen.
»Papa, jetzt!«
Die CAROLINE hängt inzwischen an dem offenen Fischerkahn, in dem der Boni in einer kakifarbenen Fischerpelerine hockt wie ein Jedi-Ritter, und dreht auf den Ruck am Seil bei. Schwerfällig. Zu schwerfällig!
»Kruzifix«, brüllt die Kati, »warum läuft das Wasser nicht ab?«
Sie stößt den Tank zur Seite, taucht die Hände unter Wasser und greift nach den zwei Klappen.
»Scheißdreck verreckter, welcher Sauhammel hat eigentlich die Lenzklappen zugemacht? Kein Wunder, dass das Wasser nicht abfließt!«, schreit sie, als sie meine sorgfältig hineingestopften Gummihandschuhe entdeckt, und reißt sie mit einem Ruck aus den zwei Löchern.
»Vollgas!«, brüllt sie dann, eine Stimme wie ein Achtzylinder, und macht eine Kreisbewegung mit dem hochgestreckten rechten Arm. Der Boni dreht so fest am Gasgriff des Außenborders, dass ihm das Handgelenk nach hinten wegkippt, und wir schießen los.
Langsam, ganz langsam hebt es den Motor wieder aus dem Chiemsee, weil die vielen Liter Wasser aus den zwei Klappen gurgelnd nach draußen verschwinden, so lange, bis meine Putzutensilien wieder auf dem Trockenen liegen.
»Jessas, das war knapp. Der Basti hätt uns keine zehn Sekunden später losschicken dürfen. Wenn ich nur wüsste, welcher Volldepp bei so einem Sturm die Lenzklappen verstopft hat. Da muss ja jedes Boot volllaufen«, stöhnt die Kati und wischt sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht, während die Herrin der Sieben Meere sich auf dem Ledersitz der CAROLINE ganz klein macht und leise anfängt zu weinen.
»Jetzt geh halt mal auf die Seite, Bappa. Warum kochst denn der Josepha und mir keinen Kaffee, hm?«
Kati trägt ihre grüne Latzhose und eine dunkelblaue Männermütze, unter der die nassen Locken allmählich trocknen, und ihre Hand im schwarzen Gummihandschuh schiebt den alten Herrn aus dem Schlachtraum auf die Seite, als wäre er leicht wie ein Feder.
»Nur noch zweihundert Renken ausnehmen, dann ist gut. Ich muss schon vorarbeiten, für den Christkindlmarkt, sind ja nur noch drei Tage!«
Ohne meine Reaktion abzuwarten, stellt sie sich an einen Edelstahltisch, greift in eine Art Betonmischer, holt sich zwei Fische auf einmal heraus und ritzt ihnen mit einer blitzschnellen Bewegung ihres großen Messers den Bauch auf.
»Jetzt seh ich erst, wie du dich verändert hast. Das letzte Mal in der Früh, da bist du ja gleich im Bad verschwunden«, meint sie mit einem Lächeln von der Seite. »Kein Wunder, dass der Janni und der Basti nicht mehr miteinander reden.«
»Das weißt du auch schon?«, frage ich schwach und versuche nicht hinzuschauen, als Kati eine Handvoll rotblutige Eingeweide in eine blaue Plastiktonne schmeißt.
»Logisch. Aber weißt was, geh doch schon mal ins Haus, ich seh schon, dass Fischeausnehmen nichts ist für dich.«
Das Wohnzimmer der
Weitere Kostenlose Bücher