Betthupferl: Roman (Fraueninsel-Reihe) (German Edition)
wichtig ihm die Abgeschiedenheit war.«
Schließlich hat mir die Emerenz erzählt, dass er sich mit dem Märchenkönig bestens auskennt, der Herr Georg Habersack, Behördenfuzzi im Landratsamt Rosenheim. Er war sicher mal ein fescher Kerl, aber jetzt hängt er hinter seinem Schreibtisch, als hätten ihn die männlichen Wechseljahre in Form von Weißbierwampe und Lethargie frühzeitig erwischt. Nur auf seine Haare scheint er recht viel Wert zu legen, sie sind zwar im Verschwinden begriffen, aber der schwarz gefärbte Rest ist sorgfältig mit Pomade zu zwei Rabenschwingen gelegt. Ein König-Ludwig-Fan, ganz eindeutig.
»Und schauen Sie, da, ein weiterer Beweis! Die Pensionswirtin Lukretia Sterzinger hat diesen Gästen vier Mark abgeknöpft, obwohl sie sonst nur die Hälfte verlangt hat. Das hat sie gemacht, weil sie gesehen hat, dass es hohe Herrschaften waren, und damit die das nicht merken, hat sie extra für sie ein neues Gästebuch angefangen. Ist doch klar, Herr Habersack! Oder?«
Ich stelle mich dicht vor den Schreibtisch und beuge mich vor, um endlich den zweifelnden Ausdruck aus diesen verschwiemelten Augen zu bekommen. Dann sage ich mit sehr vaterländischem Nachdruck: »Das Haus meiner Tante, Herr Habersack, war 1878 die Herberge des bayerischen Märchenkönigs. Was, meinen Sie, würde der sagen, wenn Sie sein Andenken schänden und dort eine Hotelanlage namens Sylt am See bauen lassen?«
Der Habersack fährt sich mit beiden Handflächen über seine Rabenschwingen und wiegt das Haupt.
»Man weiß es nicht, man weiß es nicht. Das müsst ich erst meinem Papa zeigen, der ist Hobbyhistoriker«, meint er dann und grapscht nach den Gästebüchern. Die aber gebe ich nicht her.
»Da will ich dabei sein! Wann können Sie ihm den Eintrag zeigen?«
»Mei, am zweiten Advent.«
Der Habersack sagt Ab-pfent statt Advent, aber das macht es auch nicht besser.
»Übernächsten Sonntag erst? Vorher geht’s nicht?«
»Mei, am zweiten Advent, da treffen wir uns immer, bei der Tante Irmi in Berchtesgaden. Zum Stollen und zum Schlehenglühwein.«
»Hm. Und am ersten Advent?«
»Da bin ich in Nürnberg, Christkindlesmarkt. Mit der Belegschaft.«
»Und wo ist Ihr Herr Vater jetzt?«
»Mei, in der Schule halt.«
»Schule?«
»Ja, der ist Oberstudienrat für Geschichte am Ludwig-Thoma-Gymnasium, wissens.«
»Und worauf warten wir noch?«, frage ich und reiche dem Herrn Habersack seinen Lodenmantel vom Haken neben der Tür.
Als wir ankommen, ist im Ludwig-Thoma-Gymnasium gerade große Pause, und ich scheuche den Habersack die Treppen hoch, besorge mir am Hausmeisterkiosk eine Semmel mit Bierschinken und eine Schokomilch und warte vor dem Lehrerzimmer.
Ich habe mein Frühstück gerade verdrückt, als der Habersack mit einem schnauzbärtigen älteren Herrn im Cordanzug herauskommt, der anscheinend seine Trinkgewohnheiten an den Sohn vererbt hat. Jedenfalls hat er bündelweise rote Adern um die Nase und Augen, deren Farbe man nicht mehr erkennen kann, weil sie so wässrig sind. Trotzdem ist er mir auf einen Schlag irrsinnig sympathisch, denn Habersack junior streckt mir das Gästebuch hin und meint: »Pfeilgrad. Der Bappa sagt, das war der Wiggerl.«
»Also«, antworte ich und presse beide Absätze in den Boden, um keinen Freudentanz aufzuführen, »das bedeutet für das Haus meiner Tante: Denkmalschutz, im Eilverfahren. Oder?
»Jaaa«, sagt der Habersack, »da muss ich schon erst eine Eingabe machen. Und die fragliche Immobilie muss ich natürlich erst prüfen, im Sinne von einer Begehung.«
»Gut, dann fahren wir jetzt auf die Fraueninsel.«
»Momenterl«, bremst mich der Habersack, Schweißperlen auf der speckigen Stirn. »Jetzt machens einmal nicht so einen Druck. Man könnt meinen, Sie sind nicht von hier, so einen Druck, wie Sie machen. Über Weihnachten, da bin ich im Urlaub, und vorher, im Advent, da ist’s immer recht voll bei mir.«
»Kulturell?«, frage ich, und ich merke, dass ich tatsächlich vom Gas muss, um es mir nicht mit dem Beamten zu verscherzen.
»Logisch«, sagt er, »ausschließlich kulturell. Da geht nix, auch unter der Woche nicht.«
»Dann kommen Sie halt am Wochenende auf den Christkindlmarkt der Fraueninsel, dann trinken Sie einen schönen Glühwein, und ich zeige Ihnen danach das Zimmer, in dem der König geschlafen hat.«
»Da kann ich nicht, weil am ersten und zweiten Advent, da sind wir immer …«
»Ich weiß schon, Tante Irmi und Nürnberg. Aber am dritten Advent, da haben
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