Bettler 02 - Bettler und Sucher
hätte nich’ immer soviel, soviel, soviel Hunger gehabt! Du hättest es tun können, du!«
Ich aktivierte den Sender mit dem Berührungscode und sagte mit deutlicher Stimme: »Spezialagentin Diana Covington, 6084 Strich A, an Colin Kowalski, 83 Strich H. Notfall, Dringlichkeitsstufe eins: sechzehn zweiundvierzig. Ich wiederhole: sechzehn zweiundvierzig. Umfangreiches Expertenteam wird angefordert.«
»Ich bin so hungrig!« schluchzte Lizzie in meine Knie.
Ich steckte den Sender in die Tasche und zog sie auf meinen Schoß. Sie vergrub das Gesicht an meinem Hals; ihre Nase fühlte sich kalt an. Ich starrte auf. den Fluß, auf dem sich das Eis staute, auf das Blut von der Hülle des Senders im angegrauten Schnee und auf den außergewöhnlich blauen Himmel. Ein paar Stunden würde es dauern, bis die AEGS aus New York herkam. Aber die SuperSchlaflosen in ihrem versteckten Eden waren bereits da. Und natürlich gab es keinen Zweifel daran, daß sie meine Botschaft mitgehört hatten. Sie hörten alles mit. Das hatte man mir jedenfalls versichert.
Ich hielt Lizzie fest und gab sinnlose Muttergeräusche von mir. Von ihrer eiskalten Nase tröpfelte es in meinen Halsausschnitt.
»Lizzie, habe ich dir eigentlich von diesem Hund erzählt, den ich einmal zu Gesicht bekam? Ein rosa GenMod-Hund, der gar nicht hätte existieren sollen, der arme Kerl?«
Aber sie schluchzte bloß weiter, frierend, hungrig und hintergangen. Nun ja, die Geschichte über Stephanie Brunells Hund schien zu diesem Zeitpunkt selbst mir ein wenig lahm; sie betraf etwas, an das ich einmal geglaubt hatte – vielleicht immer noch glaubte –, an das ich mich aber nicht mehr genau erinnern konnte.
Wie an soviel anderes auch.
Innerhalb einer Stunde waren die AEGS-Leute da, was mich, das muß ich zugeben, schwer beeindruckte. Erst kamen die Flugzeuge, dann die Luftwagen, und als die Nacht anbrach, zischte die erste Gravbahn in East Oleanta ein, zusammen mit einer Draufgabe von dreißig unerschütterlich dreinblickenden Agenten, einigen Technikern und reichlich Lebensmitteln. Staatsbeamte arbeiten am besten mit vollem Magen. Die Techs machten einen Rundgang durch die ganze Stadt und reparierten, was ihnen unter die Hände kam. Die AEGS requirierte die Kongreßabgeordnete-Janet-Carol-Land-Cafeteria, warf einen Y-Schild um jene Hälfte, die am weitesten von den am Transportband arbeitenden Techs entfernt war, und untersagten allen anderen den Eintritt. Die braven Bürger von East Oleanta waren nur allzu glücklich, der Anordnung Folge zu leisten, weil das Futter ohnehin von der Ausgabestelle des Lagerhauses aus unters Volk kam. Gott allein weiß, wie sie die Sachen kochten. Vielleicht aßen sie das SojSynth roh.
»Miss Covington? Ich bin Charlotte Prescott. Ich habe einstweilen das Kommando hier, bis Colin Kowalski von der Westküste eintrifft. Bitte kommen Sie mit.«
Sie hatte flammendrotes Haar, war hochgewachsen und eine perfekte Schönheit. Teure Gene. Dazu brachte sie einen Akzent mit, den man gemeinhin mit dem wohlbestallten Nordosten verbindet, und Augen direkt aus dem Versteinerten Wald. Ich folgte ihr, aber nicht ohne den üblichen kleinen Diana-Protest: lebhaft, aber letzten Endes wirkungslos.
»Ich möchte keine Gespräche führen, ehe ich nicht dafür gesorgt habe, daß zwei Personen etwas zu essen bekommen. Drei, eigentlich. Ein alter Mann und ein kleines Mädchen und die Mutter des Mädchens… Es könnte sein, daß die Frau nicht imstande ist, sich gegen die vielen Leute durchzusetzen…« Was redete ich denn daher? Annie Francy wäre imstande gewesen, sich mit General Custers letztem Aufgebot den Indianern entgegenzuwerfen und dabei den Rothäuten lautstark Vorwürfe zu machen, daß sie sich nicht ordentlich benahmen!
Charlotte Prescott sagte: »Wir kümmern uns bereits um Lizzie Francy und Billy Washington. Die Wache vor der Wohnung wird für Lebensmittel sorgen.«
Und dabei war sie erst seit zehn Minuten in East Oleanta.
Charlotte Prescott und ich saßen einander an einem Cafeteriatisch aus PlastiSynth gegenüber, und ich berichtete ihr alles, was ich in Erfahrung gebracht hatte. Daß ich Miranda Sharifi von Washington nach East Oleanta gefolgt war, ehe sie verschwand. Daß ich in den Wäldern herumgestreift war, auf der Suche nach ihr. Daß ein paar Einheimische glaubten, es gäbe irgendwo in den Bergen einen Ort, den sie Eden nannten – vermutlich ein unterirdisch angelegtes, abgeschirmtes illegales Huevos-Verdes-GenMod-Labor
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