Bettler 02 - Bettler und Sucher
unverwandt in die Ferne, erfüllt mit Licht.
Und dann fingen alle an, sich zu rühren. Offenbar war die RoboKamera abgeschaltet worden. Die Formen in meinem Innern waren faulig und zähflüssig wie Teer. Ich hatte nichts getan, um den Jungen zu retten. Ich hatte nicht einmal den Versuch eines Protests unternommen. Ich hatte auch nicht den Versuch gemacht, mich irgendwie in diese unkorrigierbare Aufnahme hineinzuschmuggeln, um den Zusehern einen Hinweis zu liefern, wo diese Scheußlichkeit stattfand… Ich hatte nichts getan.
»Das wär’ im Kasten«, sagte Jimmy Hubbley, sichtlich mit sich zufrieden. »Das ist eine Redewendung aus früheren Filmzeiten. Soll heißen, daß die Filmerei zu Ende ist. Ihr könnt alle wegtreten. Und Mister Arlen, Sir, ich denke, es wär’ wohl ratsam, daß Peg Sie jetzt wieder in Ihr Zimmer bringt. Sie sehen ein wenig spitz aus, wenn Sie den Ausdruck gestatten. Hoffentlich finden Sie es nicht zu impertinent von mir, daß ich das sage, Sir.«
So ging es wochenlang weiter.
Körpertraining, Holos über den Zustand der Gesellschaft (wo die wohl hergestellt wurden?), politische Bildung. Es war, als müßte ich wieder zur Schule gehen – und nur in den unangenehmsten Teil davon. Immer wieder fand ich kleine Spitzenrechtecke aus Abigails Hochzeitskleid, und Peg schob meinen Rollstuhl nie irgendwohin, wo auch nur in Spuckdistanz ein Terminal gestanden hätte.
Exekutionen gab es keine mehr.
Ich brauchte dringend einen Drink. Hubbley sagte nein. Er gestattete Sonnenschein, weil der nicht die Reaktionen dämpfte. Ich wollte einen Drink, weil er die Reaktionen dämpfte.
Hubbley hatte mir ein albernes Handterminal zugestanden, von der Art, wie es Kinder für ihre Hausaufgaben benutzen, und dazu eine enzyklopädische Standardbibliothek. Einmal, als ich mich gar nicht mehr zurückhalten konnte, sagte ich zu ihm: »Francis Marion lehnte das Töten von Gefangenen ab. Er schaffte einmal sogar einen Loyalisten, Jeff Butler, heimlich aus seinem eigenen Lager hinaus, als es so aussah, als würden Marions Leute ihn umbringen.«
Hubbley lachte voller Ergötzen und rieb die Beule an seinem Hals. »Verdammt, haben Sie aber brav gelernt, mein Sohn! Der Teufel soll mich holen, aber ich bin verflucht stolz auf Sie!«
Vom Zusammenbeißen taten mir bereits die Zähne weh. »Hubbley…«
»Aber das hat nichts zu sagen, Mister Arlen, Sir. Nein, ehrlich nicht. General Marion erbarmte sich der Königstreuen, weil sie von seinem eigenen Schlag waren, seine Nachbarn, die genauso auf und von demselben Land lebten wie er. Aber er zeigte doch nicht das gleiche Erbarmen für die britischen Soldaten, oder? Und Macher sind eben nicht von unserem Schlag. Sie sind auch nicht unsere Nachbarn, in ihren großkotzigen Enklaven. Und sie leben ganz gewiß auch nicht so wie wir, ohne Bildung und persönliches Eigentum und echte Macht. Nein, die Macher, das sind die Engländer, Mister Arlen. Nicht Jeff Butler, sondern Hauptmann James Lewis von der Armee Seiner Majestät, der von einem vierzehn Jahre alten Patrioten namens Gwynn getötet wurde. Das ist Naturgesetz, mein Sohn. Man schützt sich und die Seinen.«
»Marion hat aber nicht…«
»Für dich heißt er ›General Marion‹, du!« keifte Peg und sah Hubbley an wie ein Hund, der lobend getätschelt werden wollte. Hubbley grinste und zeigte seine Zahnstummel.
Das waren die Leute, die den Duragem-Spalter auf das Land losgelassen und damit die Zivilisation in Trümmer gelegt hatten. Diese Leute da.
Und sie lag in Trümmern. Das HT im Gemeinschaftsraum empfing die Nachrichtensendungen der Macher. Es gab kaum mehr eine Gravbahn, die den Fahrplan einhalten konnte, besonders außerhalb der Städte, denn die meisten Techniker wurden in die dicht besiedelten Gebiete geschickt, weil dort die Wählerstimmen herkamen; außerdem war dort die Gefahr von Straßenkrawallen am größten, was eine Verdreifachung der Sicherheitskräfte rund um die Enklaven notwendig machte. Es fanden nur noch ganz wenige Flüge statt, was hieß, daß das Land in erster Linie über Telekonferenzen regiert wurde. Die Ambulanzen litten regelmäßig unter Funktionsstörungen; die MedRobs stellten keine falschen Diagnosen, sie hörten einfach auf, Diagnosen zu stellen.
Eine von Viren verursachte Seuche verbreitete sich in Südkalifornien. Niemand wußte, ob es sich um eine natürliche Mutation handelte oder ob sie biotechnisch hervorgerufen war.
Ein Nutzer-Messias hatte das Ende aller Zeiten
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