Bettler 02 - Bettler und Sucher
GenMod-Wiedergeburt eines Wikingerhäuptlings, geschaffen von Eltern, die mehr Geld als Phantasie hatten.
Er ignorierte mich und sprach direkt zu Carmela. »Ich fürchte, Doktor Clemente-Rice, daß es Ihnen nicht möglich sein wird, die Gefangene zu sehen.«
Carmelas Stimme blieb unverändert: stählerne Gelassenheit. »Sie irren sich, Mister Castner. Mister Arlen und ich haben eine persönliche Genehmigung der Justizministerin, mit Miss Sharifi zu sprechen. Sie wurden davon sowohl über Ihr Terminal als auch in schriftlicher Ausfertigung unterrichtet. Kopien der schriftlichen Ausfertigung habe ich bei mir.«
»Aber selbstverständlich wurde ich vom Justizministerium unterrichtet.«
Carmela verzog keine Miene. Sie wartete. Der Direktor lehnte sich auf seinem antiken Stuhl zurück, die Finger hinter dem Kopf verschränkt, die Augen feindselig und amüsiert. Er wartete auch.
Carmela konnte es besser.
Schließlich wiederholte er: »Keiner von Ihnen kann die Gefangene besuchen, egal, was das Ministerium sagt.«
Carmela schwieg.
Langsam verschwand sein amüsierter Gesichtsausdruck. Offensichtlich würde sie weder bitten noch betteln. »Sie können die Gefangene nicht besuchen, weil die Gefangene nicht will, daß Sie sie besuchen.«
Unwillkürlich platzte ich heraus: »Nie?«
»Nie, Mister Arlen. Sie möchte keinen von Ihnen beiden sehen.« Er lehnte sich noch weiter zurück, entwirrte seine Finger, und seine blauen Augen wurden ganz klein in dem wohlgeschnittenen Gesicht.
Vielleicht hätte ich damit rechnen sollen. Ich hatte es nicht getan. Ich legte die Hände flach auf seinen Schreibtisch. »Sagen Sie ihr… Sagen Sie ihr nur, daß ich… daß ich…«
»Drew«, flüsterte Carmela.
Ich riß mich zusammen. Es ärgerte mich, daß der affektiert grinsende Hundesohn mich stottern gesehen hatte. Hochnäsiger Macher-Arsch… In diesem Moment haßte ich ihn genauso sehr, wie ich Jimmy Hubbley gehaßt hatte, wie ich Peg gehaßt hatte, die arme dumme hoffnungslose Kuh, die sich so kläglich bemüht hatte, Jimmy Hubbleys Ansprüchen gerecht zu werden… Ich kann doch nichts dafür, daß ich mehr weiß und besser denken kann als du, Drew! Ich kann doch nichts für das, was ich hin!
Ich wendete den Rollstuhl abrupt und setzte ihn Richtung Tür in Bewegung. Eine Sekunde später spürte ich, daß Carmela mir folgte. Direktor Castners Stimme ließ uns beide innehalten.
»Miss Sharifi hat mir ein Päckchen für Sie übergeben, Mister Arlen.«
Ein Päckchen. Ein Brief. Eine Chance, ihr zurückzuschreiben, ihr zu erklären, was ich getan hatte und warum ich es getan hatte.
Ich wollte das Päckchen nicht vor Castner öffnen. Aber es konnte sein, daß ich auf ihren Brief hier und jetzt in irgendeiner Weise reagieren mußte, und in dem Brief konnte sich ein Hinweis darauf finden… Carmela hatte drei Wochen aufgewendet, um uns so weit zu bringen; es war ein persönlicher Gefallen der Justizministerin. Außerdem hatte Castner gewiß schon alles gelesen, was Miranda mir zu sagen hatte. Zum Teufel, ganze Teams von Computerexperten hatten zweifellos jedes ihrer Worte auf Codes, auf versteckte Nanotechnik, auf symbolische Bedeutungen hin untersucht! Ich drehte Castner den Rücken zu und riß den leicht wattierten Umschlag auf.
Und was, wenn sie Wörter verwendet hatte, die mir zu schwierig waren…?
Aber es waren keine Wörter in dem Umschlag. Nur der Ring, den ich ihr vor zwölf Jahren geschenkt hatte, ein schmaler goldener Reif, mit Rubinen besetzt. Ich starrte ihn an, bis seine Umrisse verschwammen und nur noch die Erinnerung an sein Aussehen mein leeres Inneres erfüllte.
»Möchten Sie eine Antwort hinterlassen?« fragte Castner mit aalglatter Stimme. Er hatte Blut gerochen.
»Nein«, antwortete ich, »keine Antwort«, und fuhr fort, den Ring anzustarren.
Du sagtest doch, du würdest mich lieben!
Nicht mehr.
Carmela wandte mir den Rücken zu und gönnte mir die Illusion, mit mir allein zu sein.
Castner sah mich an und lächelte fast unmerklich.
Ich steckte den Ring ein.
Wir verließen das Staatsgefängnis. Jetzt waren keine Formen in meinem Kopf, gar nichts. Das dunkle Gitterwerk, das sich in Jimmy Hubbleys unterirdischer Bunkeranlage aufgelöst hatte, um mir meine eigene Isolation vor Augen zu führen, war nie wiedergekommen. Ich befand mich nicht mehr in der Umklammerung von Huevos Verdes. Aber Miranda war nicht mehr da. Leisha war nicht mehr da. Carmela war da, aber ich spürte sie nicht in meinem Innern, ich
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