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Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Revolution längst im Gange war und die Webstühle ratterten wie Maschinengewehrfeuer.
    Am 14. Juli erreichten wir Oak Mountain, was nur ich originell fand – oder zumindest bemerkenswert. Grob geschätzt befanden sich bereits etwa zehntausend Menschen dort. Sie hatten den Ring flachen Landes rund um das Gefängnis besetzt, und dazu die Hänge der nahen Berge. Um die Nahrungsaufnahme zu ermöglichen, hatten sie meilenweit jeden Bewuchs aus dem Erdreich gerissen und nur die Bäume als Schattenspender ausgespart. Niemand ernährte sich von festen Speisen; daher gab’s auch kaum irgendwo Scheiße. Zelte in den wilden Farben der früheren Overalls standen über das ganze Gelände verstreut: türkis, orangerot, lila, grasgrün. Nachts saßen die Leute wie üblich um Lagerfeuer oder Y-Kegel.
    Im Ersten Weltkrieg starben mehr Menschen an Krankheiten als Folge der beengten und unhygienischen Zustände als durch Schußwunden. Während der Belagerung von Dunmar aßen die Menschen erst die Ratten und dann einander. Während der Kämpfe in Brasilien war der Schaden am Regenwald größer als jener, der den Truppen zugefügt wurde, denn HighTech vernichtete alles, womit es in Berührung kam. Nie wieder.
    Hatte die Geschichte noch Geltung? Die Geschichte der Menschheit?
    Billy hatte recht. Ich dachte zuviel. Sollte mich besser darauf konzentrieren, am Leben zu bleiben.
    »Schmier dir mehr Erde ins Gesicht!« sagte Lizzie, während sie mich kritisch betrachtete. Der Rat schien überflüssig: alle waren ununterbrochen von Kopf bis Fuß voller Erde – mittlerweile ein durchaus akzeptabler Zustand. Erde war sauber; Erde war Muttermilch. Mir kam der Verdacht, daß Miranda & Co. mit ihrem magischen Gebräu auch unsere Geruchsnerven verändert hatte, denn niemand fand, daß der Nächste stank.
    »Gib dir mehr Blätter ins Haar!« sagte Lizzie und legte den Kopf schief, um mich anzusehen. Ihr hübsches Gesicht wirkte bekümmert. »Vicky, hier gibt es wirklich unheimliche Leute. Sie wollen einfach nicht verstehen, daß Macher auch Menschen sein können!«
    Sein können. Geduldeterweise. Falls wir uns den Nutzern anschließen und alle jene Institutionen aufgeben, mittels derer wir die Welt kontrollierten.
    Lizzies Lippen begannen zu zittern. »Wenn dir irgend etwas passieren…«
    »Nichts wird mir passieren«, sagte ich, ohne es auch nur eine halbe Minute lang zu glauben. Zuviel war schon passiert. Aber ich nahm sie in die Arme, diese Tochter, die sich gerade anschickte, sowohl Annie als auch mir rapide zu entgleiten – obwohl Annie noch um sie kämpfte, als würde Lizzie nicht längst schon einer anderen Spezies angehören. Lizzie war jetzt schon fast völlig nackt, ihr ›Kleid‹ bestand nur noch aus ein paar Fetzen Stoff, um ein Minimum an Anstand zu wahren. Völlig unbefangen in ihrer Nacktheit. Wie andere Dreizehnjährige in diesem Lager, die genauso unbefangen schwanger waren. Kein Problem. Ihre Körper würden ganz allein damit fertigwerden. Sie hatten keine Gefahr bei der Entbindung zu befürchten, hatten keine Angst davor, ein Baby zu versorgen, und verließen sich auf die dauernde Gegenwart vieler Menschen, die bei der Betreuung dieser beiläufig empfangenen Sprößlinge mithelfen würden. Keine große Sache, das Ganze. Die schwangeren Kinder waren immer fröhlich.
    »Gib bloß acht!« sagte Lizzie.
    »Gib du bloß acht!« antwortete ich, aber klarerweise lächelte sie nur.
    An diesem Abend erschien das erste Holo am Himmel.
     
    Es sah so aus, als stünde es genau über dem Mittelpunkt des Gefängnisses. Fünfundzwanzig Meter hoch oben und zumindest fünfzehn Meter weit aufragend – es war schwer, es vom Boden aus einzuschätzen –, mußte es meilenweit zu sehen sein. Das Laserlicht wirkte perfekt in seiner Kompliziertheit und gleißend hell. Es war zehn Uhr abends und selbst für eine Sommernacht dunkel genug, damit das Holo den beinahe vollen Mond überstrahlen konnte. Es bestand aus einer rot-blauen Doppelhelix, die in weihevolles weißes Licht getaucht war wie ein biologischer Caravaggio. Darunter pulsierten und blinkten Buchstaben:
     
    TOD DEN NICHT-MENSCHEN
    WILLE UND IDEAL
     
    Ein Aufschrei ging durch die Menge. In nur einem Jahr hatten sie offensichtlich vergessen, wie allgegenwärtig politische Holos zu sein pflegten.
    Tod den Nicht-Menschen. Eiseskälte kroch mir vom Kreuz aus über das Rückgrat nach oben.
    »Wer macht’n bloß so ‘n Holo?« rief eine empörte Männerstimme aus allernächster Nähe. Ein

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