Bettler 03 - Bettlers Ritt
Zeitpunkten zutage trat: »Jackson? Biochemie?«
Er drückte sie fester an sich. »Nicht Biochemie. Liebe.«
Und beides war – und war nicht – die Wahrheit. Wie alles andere auch.
Epilog
NOVEMBER 2128
Alle Fremden und Bettler sind von Zeus
und eine Gabe,
auch wenn sie klein ist, kostbar.
Homer, Ilias
Jackson wartete vor der häßlichen Silhouette eines zerstörten Gebäudes, sein Rüstzeug tief im Schatten. Die übliche Vorgangsweise.
Das Gebäude hatte aus SchaumStein bestanden, was hieß, daß es nicht niedergebrannt war, aber alles andere hatte man ihm angetan. Man hatte es beschossen, seine Wände zertrümmert, Fenster und Türen eingetreten und es ausgeplündert. Die Zerstörung war schon eine Weile her, denn inzwischen war es fast völlig von jener mutierten Form von Kudzu bedeckt, die auch den Rest von St. Louis überwucherte, dem häßlichsten Ort, den Jackson je gesehen hatte.
Und in den letzten sieben Jahren hatte er eine Menge häßlicher Orte gesehen.
Theresa und Dirk hatten ihre Vorbereitung beendet und setzten sich in Gang. Dirk, acht Jahre alt und ein Neuling bei der Vorbereitung, klammerte sich fest an die Finger seiner Mutter. Lizzie hatte sich natürlich nicht vorbereiten müssen; sie war nie mit dem Angstvirus infiziert worden. Aber sie führte Dirk an der Hand, der während des letzten Jahres enorme Fortschritte in der Annahme einer zweiten Persönlichkeit gemacht hatte – er nannte die seine ›Treeboy‹. Dirk hatte mit typisch kindlicher Anpassungsfähigkeit – die anscheinend unter den panischen, künstlich in seine Amygdalae eingepflanzten Ängsten immer noch vorhanden war – gelernt, sich vorzubereiten. ›Treeboy‹, geschaffen mit Hilfe der Phantasie, aber neurochemisch real, war tapferer und freier als Dirk. Jackson hatte die Hirnscans, die das bewiesen.
Theresa ging voran. Theresa, die von den dreien in die schäbigsten Lumpen gehüllt war. Theresa, deren helles, inzwischen nachgewachsenes Haar verfilzter war als das der anderen beiden. Theresa, mit den absolut leeren Händen, für die diese Aufgabe noch schwerer war als für irgend jemand anderen.
Theresa, die endlich glücklich war.
Die drei Bettler näherten sich dem halbverfallenen Gebäude, in dem der infizierte Stamm lagerte. Selbstverständlich hatten sich alle Nutzer in sein Inneres geflüchtet. Theresa, Lizzie und Dirk hockten sich vor der geschlossenen Tür auf den Boden und begannen zu betteln.
»Bitte gebt uns warme Sachen! Wir bitten euch um warme Kleider, wenn ihr was entbehren könnt! Die Nächte sind so kalt…«
Sie würden tagelang dort bleiben, das wußte Jackson, wenn Tage notwendig waren. Doch diesmal hielt er es nicht für wahrscheinlich. Die Bettler hatten ein Kind dabei. Alle Ängstlichen, ob in den Enklaven oder außerhalb, tauten eher bei Frauen und Kindern auf. Der Orden des inspirierten Geistes – Jackson verabscheute den Namen, aber es war Theresas Entscheidung gewesen – hatte dreitausend Mitglieder über das ganze Land verstreut (ohne die angeschlossenen Ärzte und Firmensponsoren zu zählen), aber nur achtundzwanzig Prozent davon waren männlich. Die Mitglieder wurden immer mehr. Der Orden wuchs ständig.
Fast so rasch, wie sich die Ängste ausbreiteten.
Doch die großen Pharmakonzerne – Kelvin-Castner, Lilly, Genentech Neuropharm, Silverstone Martin – standen immer noch kurz vor der Entwicklung eines Gegenmittels. Sie hätten noch dichter davorgestanden, wäre die Angstseuche leichter übertragbar gewesen. Aber die menschliche Rasse hatte Glück im Unglück gehabt. Wenn eine Person in einem Lager oder einer Enklave die Krankheit bekam, dann bekamen sie alle, was auf die mangelnden sanitären Einrichtungen und die Art der Nahrungsaufnahme der Umgestellten zurückzuführen war. Aber die Ansteckung zwischen Lagern und Enklaven fand praktisch nicht statt, da die Angesteckten weder Besuche machten noch welche empfingen.
Theresa änderte das.
»Bitte, bitte, wenigstens eine warme Jacke…!« bettelte der kleine Dirk.
Manchmal öffnete sich an dieser Stelle ganz einfach die Tür, und irgend etwas flog heraus: Kleidung, ein Behälter mit Wasser, ein überzähliger Y-Kegel für die Wärme. Aber die Bettler gingen nicht weg. Das, was alle religiösen Orden verbindet, dachte Jack, der im Schatten auf seinen Auftritt wartete, ist ihre Hartnäckigkeit. Allesamt Verrückte, aber hartnäckig.
Und manchmal durchsetzungsfähig.
Die Tür
Weitere Kostenlose Bücher