Bettler 03 - Bettlers Ritt
des Nutzer-Gebäudes öffnete sich einen Spalt. Ein Mann zwängte sich hindurch, gefolgt von einem Kind. Jackson musterte es prüfend durch seine Zoomlinsen. Das kleine Mädchen war nicht umgestellt. Jackson betrachtete die kahlen entzündeten Stellen auf einer Seite ihres Kopfes: runde Läsionen, in der Mitte verkrustet und schuppig an den Rändern. Aller Wahrscheinlichkeit nach Kopfgrind. Ansonsten sah die Kleine gesund aus – wenngleich ängstlich. Aber nicht so ängstlich wie viele andere Menschen. Die Wirksamkeit des heimtückischen Neuropharms variierte von Individuum zu Individuum – wie jene zahlreicher anderer Drogen und Arzneien auch. Es gab sogar ein paar Fälle natürlicher Immunität, die selbstverständlich von den Pharmafirmen und dem Zentrum für Seuchenkontrolle eifrigst studiert wurden.
Das kleine Mädchen versteckte sich hinter den Beinen des Mannes, lugte aber doch dazwischen hervor und sah Dirk an.
Treeboy lächelte.
Vielleicht würde Jackson doch nicht allzu lang auf seinen Auftritt warten müssen.
Sein Rüstzeug stand bereit, geladen auf einen Gleiter. Arzneien, PflegeRob. Und das Wichtigste: Holo-Kassetten, die auf dem Terminal des Nutzer-Lagers abgespielt werden konnten – auf dem eigenen Terminal dieser Menschen, an das sie gewöhnt waren und das Teil der täglichen Routine war. Zur Einstimmung würde Theresa mit den Holos über die medizinische Versorgung der nicht umgestellten Kinder beginnen. Selbst die Ängstlichsten unter diesen Leuten würden sich dazu durchringen, etwas Neues zu probieren, wenn es um das Leben ihrer Kinder ging. Je mehr nicht umgestellte Kinder geboren wurden, desto verzweifelter wurden die Verängstigten – und das war der Schlüssel, um in ihr Leben einzudringen.
Sobald Theresa sie soweit hatte, würde sie sie langsam mit den Holos über die ›Vorbereitung‹ bekanntmachen: Sie, die selbst immerzu unter Furcht litt, würde diese Menschen lehren, ihre Ängste zu überwinden, indem sie sich ein zweites, anderes Ich zurechtzimmerten. Und später dann würden sie jene Biofeedback-Techniken erlernen, die dieses andere Ich neurochemisch real machten. Zwar nur vorübergehend real – aber real. Und abrufbereit, wann immer man es brauchte.
Bis jemand eine medizinische Lösung des Problems fand.
Eine medizinische Lösung würde natürlich einfacher, leichter, rascher wirksam sein. Nimm einfach ein Neuropharm! Mit dem richtigen Neuropharm könntest du weniger ängstlich werden – oder noch ängstlicher oder fröhlicher oder hoffnungsvoller oder weniger aufbrausend oder lethargischer… was du möchtest. Aber Theresa und ihre Anhänger verwendeten keine Neuropharms. Und daher lautete die Frage nicht, wie Jackson immer angenommen hatte: Inwieweit werden Menschen von ihrer Neurochemie getrieben? Die Frage lautete: Wieso wurden sie überhaupt je von etwas anderem als ihrer Neurochemie getrieben? Wieso – und wie – konnten Männer und Frauen sich für oder gegen ihre eigene Angst, Fröhlichkeit, Hoffnung, Wut oder Gleichgültigkeit entscheiden? Denn sie konnten es ganz offensichtlich – Theresa bewies es ihm, unmittelbar vor seinen Augen. Also nicht: Ist der Mensch bloß ein Haufen Chemikalien?, sondern: Wie kann der Mensch je etwas anderes sein?
Jackson wußte keine Antworten darauf. Selbst nach sieben Jahren waren ihm die Fragen noch unangenehm.
Er blies sich in die Hände; es wurde kälter. Jackson schaltete die Y-Wärmefasern ein, die in seine Kleider gewebt waren. Theresa, Dirk und Lizzie verschwanden im Innern des verfallenen Gebäudes – sehr beruhigend, denn Bettlerlumpen hatten keine eingewebten Wärmefasern. Und auch keine Personenschilde. Die Bettler trugen Minisender bei sich, die dauernd von den mithelfenden Ärzten und Krankenschwestern – ihrerseits wiederum unterstützt von sorgfältig getarnten, für alles gerüsteten SicherheitsRobs – abgehört wurden. In den sieben Jahren, die Theresas Orden des inspirierten Geistes bereits bestand, hatte man die SicherheitsRobs nur dreimal gebraucht. Zutiefst verängstigte Menschen waren nicht unbedingt Kämpfernaturen.
Hinter den Schutthalden von St. Louis ging die Sonne unter. Die nächste Nachtwache. Jackson seufzte, aktivierte das Y-Schild-Zelt und lenkte den Gleiter in sein Inneres. Dann rief er Vicki an.
»Hallo, Jackson! Wie steht’s mit der Belagerung? Ist Troja schon gefallen?«
Jackson grinste. »Wir haben gerade das hölzerne Pferd hineingerollt. Aber nenne es ja nicht so, wenn Lizzie
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