Bettler 03 - Bettlers Ritt
Regierung und alle anderen Menschen davon informieren, die verzweifelt darauf hoffen, daß Miranda Sharifi uns wieder einmal als rettender Engel erscheint. Denn K-C wird keine Hilfe vom Himmel bekommen. Und die Regierung muß sich erst Einlaß in Selene verschaffen, um auch dort nach verschollenen Personen zu suchen. Und die Menschen können ruhig aufhören, Botschaften nach Selene zu senden, weil diesmal keine dea ex machina auftauchen wird. Die machina ist kaputtgegangen, und die dea ist tot. Jackson… halt mich fest, bitte. Es ist mir egal, wer zusieht.«
Er nahm sie in die Arme. Und obwohl sie sich warm unter seinen Händen anfühlte, war ihm das kein Trost. Kein wirklicher Trost.
»Jack!« sagte Cazie mit grimmiger Miene vom Terminalschirm, »sag mir, was du über Miranda Sharifi und Selene zu wissen glaubst!«
Und so gab er Cazie mitten in der Nacht einen zusammenfassenden Bericht. Den Bericht gab er auch Alex Castner, ebenso mitten in der Nacht. Doch für das FBI und den CIA geschah das erst am nächsten Vormittag – am Vormittag deshalb, weil man, wie sich später herausstellte, bei Kelvin-Castner die Bundespolizei erst rief, nachdem man eine Aufsichtsratssitzung abgehalten hatte. Jackson war nicht undankbar für den langen Schlaf, denn für FBI und CIA mußte er weiter ausholen und vieles etliche Male wiederkäuen.
Hinterher gab er sich alle Mühe, nicht mehr an diese Untersuchungen zu denken. Er verbrachte seine Tage mit den Daten, die Kelvin-Castner ihm nun freigiebig überließ. Es gab ja keinen Grund mehr, es nicht zu tun. Wie Vicki festgestellt hatte: Sie standen jetzt alle auf derselben Seite.
Der einundzwanzigste Tag seiner Quarantäne war sein letzter Tag; er hatte sich durch alle Daten, über die K-C verfügte, hindurchgearbeitet. Die Labors selbst hatte er nicht betreten, er war kein Wissenschaftler. Er beschränkte sich auf die medizinischen Modelle, die jedoch noch keine Ergebnisse gezeitigt hatten. Vielleicht konnte ein Gegenmittel gefunden werden; aber niemand wußte, wo oder wie.
Oder wann.
Die kalte, schwarze Wut war noch immer in ihm. Nicht deshalb, weil es hoffnungslos war, nach einer Heilung zu suchen. Das war nicht hoffnungslos. Und die Wut war auch nicht da, weil irgend jemand dieses gefährliche, grausame Neuropharm, das in der Natur nicht vorkam, entwickelt hatte. Schon seit viertausend Jahren ersannen die Menschen nicht natürlich vorkommende Gifte, um einander aus dem Verkehr zu ziehen. Die Wut existierte auch nicht, weil Kelvin-Castner den eigenen Profit über das Gemeinwohl gestellt hatte – bis das Gemeinwohl plötzlich identisch wurde mit dem Firmenwohl. Nein, das war eben die Art und Weise, wie Unternehmen funktionierten.
Am einundzwanzigsten Tag, als Jackson K-C verlassen wollte, um Theresa einen kurzen Besuch abzustatten, trat Thurmond Rogers ihm unmittelbar vor der Sicherheitsbarriere zum unversiegelten Teil des Gebäudes in den Weg. Thurmond Rogers in Person, nicht als Holo oder aus einem ComLink heraus. »Jackson!«
»Ich denke, wir haben einander nichts zu sagen, Rogers. Oder spielst du den Botenjungen für Cazie?«
»Nein«, antwortete Rogers in einem Tonfall, der Jackson aufmerken ließ. Rogers’ Haut, deren GenMod-Bräunung einen hübschen Kontrast zu dem goldblonden lockigen Haar abgeben sollte, sah fahl und fleckig aus. Die Pupillen seiner türkisblauen Augen waren geweitet, selbst in dem simulierten Sonnenschein des Korridors.
»Was ist los?« fragte Jackson, aber er wußte es bereits.
»Es ist zu direkter Ansteckung übergegangen.«
»Wo?«
»Die Enklave Chicago-Nordküste.«
Nicht einmal unter den Nutzern. Jemand hatte die Enklave verlassen – oder es war jemand hineingekommen –, der sich durch den Kontakt mit Blut, Sperma, Urin, Speichel oder Muttermilch mit dem Neuropharm infiziert hatte. Es war jetzt in einer Form, die nicht mehr eingeatmet werden mußte, um seine Wirksamkeit zu entfalten.
»Verhalten der Opfer?« fragte er Rogers barsch.
»Die gleichen schweren Inhibitionen. Panische Angst vor allem Ungewohnten.«
»Medizinische Modelle?«
»Alle entsprechen den bekannten Ergebnissen. Zerebrospinalflüssigkeit, Hirnscans, Puls, Amygdalae-Aktivität, Hormonwerte im Blut…«
»Gut«, sagte Jackson mechanisch, denn es war keineswegs gut. Aber mit einemmal wußte er, weshalb er so wütend war.
»Immer und immer wieder dasselbe«, sagte Jackson zu Vicki.
Sie saßen nebeneinander in seinem Luftwagen, der gerade vom Flughafen
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