Bettler und Hase. Roman
und die Rohkost fürs Kaninchen, denn was gut ist, wirft man nicht weg.
Was schlecht ist, auch nicht.
Zwischen Reiskocher und Grill nahm Ming den Schein, den seine Tochter ihm gebracht hatte, in Augenschein. Eindeutiger Fall, klarer Beschiss. Er sagte, er übernehme das, und ging zu Vatanescu. Dieser streichelte das Kaninchen und schnaufte dank vollem Bauch vor Zufriedenheit. Da brachte es Ming nicht übers Herz, hart zu sein und unerschütterliche Forderungen zu stellen, denn dem Gast hatte das Essen offensichtlich gut geschmeckt.
Seine Kinder hatte Ming nie herumkommandiert. Er wählte lieber das Schweigen. Das hatte er zuerst von seinem Vater gelernt, dann von seinem finnischen Nachbarn Seppo Mäkäräinen. Über Geld redete Ming auch nicht gern, weil sich in seiner Welt alles ums Essen drehte. Genau genommen hätte er am liebsten gar nicht geredet, denn er fand, dass man das Nötige auch übers Essen ausdrücken konnte. Liebe, Hass, das Glück über die Enkelkinder, Gefühle und Gedanken. Ming verglich sich lieber mit Malern oder Bildhauern als mit anderen Köchen.
Trotzdem.
Der Lumpenkerl und das Kaninchen hatten mit einem Siebzigeuroschein bezahlt, und solche gab es auf dieser Welt nun einmal nicht. Für wie dumm hielten die ihn eigentlich? Sollte er die Polizei rufen?
»Ich könnte jetzt die Polizei rufen, aber ich tue es nicht.« So begann Ming seine Ansprache an Vatanescu, nachdem er minutenlang vor ihm gestanden hatte. Er sei ein unermüdlicher Kleinunternehmer, fuhr Ming fort, der eine abartige Miete und den Lohn von fünf Leuten zahlen müsse und der sich irgendwann auch gern mal ein bisschen Schlaf gönnen möchte. Der sich irgendwann auch gern mal einen kleinen Lohn auszahlen würde. Deshalb gingen ihm die kindischen Streiche von erwachsenen Menschen ziemlich auf die Nerven.
Vatanescu sagte zu Ming auf Englisch, er verstehe kein Chinesisch oder Kantonesisch oder Mandarin oder was es nun einmal sei.
Ling Irmeli kam hinzu, um die Worte ihres Vaters zu übersetzen, und so fand man zu aufkeimendem Verständnis.
Ich wusste nicht, dass der Schein … Natürlich war er gefälscht. Es kam ja von Jegor, das Geld. Der ganze Kerl ist falsch. Jeder Eigentümer gibt sein Karma in die Dinge, die ihm gehören, sagt Großmama Gurda. Ich habe noch immer keinen roten Heller, und mein Sohn hat keine Fußballschuhe.
»Verdammt noch mal!«, sagte Ming.
Es war das erste Schimpfwort im Leben des Ming Po. Der ganze Gastraum drehte sich um, jemand applaudierte verdutzt, wie in der Schulmensa, wenn ein Milchglas auf dem Fußboden zerschellt und ein Achtklässler über Jahre hinweg seinen Ruf verliert.
»Hasenmann! Lüg mich nicht an! Sag die Wahrheit, das ist immer am einfachsten!«
Ich weiß.
Auch mich hat das Leben etwas gelehrt.
Mit stufenloser Regulierung kehrte Ming zu sich selbst zurück und erinnerte sich an etwas, das seine Mutter ihm beigebracht hatte: Der Gast hat immer recht. Eine gute Tat beschert einem selber eine gute Tat. Dieser Vatanescu hatte eine Chance auf Barmherzigkeit verdient, vor allem weil in seinen Augen eine Redlichkeit leuchtete, die nichts mit Dummheit zu tun hatte.
Nachdem der Ansturm zur Mittagessenszeit abgeklungen war, türmten sich neben Vatanescu mannshoch Teller, Gläser, Besteck und Töpfe. Er beglich seine Mahlzeit, indem er Geschirr spülte.
Anschließend bat Ming ihn ins Büro. Vatanescu nahm sein Kaninchen und wollte schnell verschwinden, aber Ming wies auf einen Stuhl, und Vatanescu setzte sich.
An der Wand hingen gerahmte Fotos von Ding Po und Mings Lieblingssängerin, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Ding Po hatte: Meiju Suvas. Nach ihr war auch ein Gericht auf der Speisekarte benannt, und Ming träumte davon, dass sie nächsten Sommer, an seinem fünfzigsten Geburtstag, im Restaurant auftrat. Wenigstens mit einem Lied. Wenigstens mit »Beiß mich«. Andererseits schien es unwahrscheinlich, dass überhaupt ein Fest zustande kam, er musste schließlich arbeiten. Außerdem gefiel Ming die Vorstellung nicht, im Mittelpunkt zu stehen.
Er sagte, Vatanescus Vergangenheit interessiere ihn nicht, aber er habe ein wenig den Eindruck, Vatanescus Zukunft liege im Dunkeln. Vatanescu nickte.
Ich will Arbeit.
Gib mir Arbeit!
Egal was du mir zahlst.
Damit mein Junge seine Stollenschuhe kriegt.
Wie als Antwort auf Vatanescus Gedanken sagte Ming, er würde gern einen fleißigen Kerl einstellen, aber in Finnland seien die Sozial- und Rentenversicherungsbeiträge so taxiert, dass
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