Bettler und Hase. Roman
entgegengesetzte Richtung davon.
Jetzt sind mir das internationale Verbrechen und die nationale Polizei auf den Fersen.
Ich könnte heulen, wenn ich nicht lachen müsste.
Ming Po war vor mehr als dreißig Jahren von Saigon nach Helsinki gekommen. Für seine Reisepläne war vor allem der Krieg verantwortlich gewesen, weil der ein akutes Fluchtbedürfnis verursacht hatte. Auf einem gefährlich schaukelnden Boot war es über den Ozean gegangen, danach hatte Ming etliche Tage in diversen Flüchtlingslagern verbringen müssen.
Mings Mutter Ding besaß eine Zauberkelle, wie sie gute Feen oftmals haben. Mochte draußen auch Völkermord, Napalm oder Sintflut herrschen, innerhalb der eigenen vier Wände, innerhalb des Zeltstoffs oder am offenen Feuer draußen duftete es immer nach etwas, das Ding Pos Hände zustande gebracht hatten und für ein Lächeln auf den Lippen sorgte. Die Zutaten waren für Ding kein Problem, sie nahm die schwierigen Umstände als Herausforderung. Sie mochte das Kochen, und das Kochen mochte sie.
Großartig der Fleisch-Gemüse-Topf aus Bambussprossen und Ratte, den sie in ihrem Erdofen schmoren ließ. Das Würzen hatte sie in den Fingerspitzen, die Bratzeit in der Seele, und man kann sagen, dass Ding Pos Essen die Familie ein Jahrzehnt lang seelisch und körperlich am Leben hielt, weil es an schrecklichen Tagen für Ausgleich sorgte. Mit jedem Topf und jeder Schüssel voll gab Ding Po etwas von sich an ihren Mann und ihre Nachkommen, von denen sie den trotz des Mangels pausbäckigen Ming am liebsten mochte. Er war ihr Küchengefährte und Zwiebelschneider, nahm als Dreijähriger schon Aalquappen aus, rupfte Tauben und zerlegte sie, schmeckte Soßen ab und war in der Beherrschung der Salz-Zucker-Balance unangefochten.
Als die Flucht im Herbst 1977 schließlich in einer warmen Zweizimmerwohnung in einem Mietshaus in Helsinki-Malmi endete, hatte Ding ihr Werk vollbracht. Sie sah ihre drei Kinder auf einer Matratze schlafen, befühlte den Heizkörper, der aus der Ferne kommende Wärme ausstrahlte, bewunderte den Elektroherd in der Küche und deckte ihre Erben zu.
Ihr Mann King Po trat zu ihr, legte ihr die Hand auf die Schulter, und in dem Moment starb Ding. Sie hatte alles gegeben und ihren Auftrag erfüllt – die Kinder waren am Leben.
Bei der Verteilung des Erbes bekam Ming Po den Wok und die Lebenseinstellung seiner Mutter: Du wirst alles überstehen, beklage dich nie, sieh das Gute im Menschen, dann tust du dich leichter. Sicherlich gibt es Dummköpfe, aber bist du selbst immer klug? Denk darüber nach, schau in den Spiegel, werde nicht stolz und erst recht nicht zynisch! Man kann dir alles wegnehmen, aber den Topf sollst du stets bei dir behalten. Mit einem gut durchgezogenen Schmorfleisch gewinnst du jedes Herz. Überlege dir genau, was du einer Frau kochst, denn mit dem Essen kannst du sie kriegen. Hör dir den Song »Kümmer dich« von Pave Maijanen an, sobald er rauskommt, dann wirst du endgültig verstehen, was ich meine.
Als er siebzehn wurde, mietete Ming Po eine leerstehende Feuerwache und eröffnete ein Restaurant, das bald nur noch »Der Chinese« genannt wurde, obwohl es einen sorgfältig ausgesuchten vietnamesischen Namen trug. Wenig später lernte er in der Schlange an der Supermarktkasse Marjatta kennen, die bald seine Frau wurde. Zwar war sein Vater zunächst dagegen, weil ihm eine Schwiegertochter aus dem eigenen Volk lieber gewesen wäre, aber Ming erklärte ihm, so ein Mädchen müsse ja erst aus einem dreitausend Kilometer entfernten Krisengebiet geholt werden. Er sagte, Marjatta sei gut für ihn und außerdem von ihm schwanger. Halbblütige Nachkommen brauchen die Unterstützung beider Sippen, also bitte keinen Stolz und keine Vorurteile! Papa King gab seinen Widerstand endgültig auf, als er Marjattas Vater Jorma kennenlernte. Der Besitzer einer Glaserei in Vaasa betrachtete die Welt aus der Perspektive seiner Heimatstadt, und dieser Blickwinkel war dem von King nicht unähnlich. Auch Jorma fand, dass früher alles besser war und dass bei allem Neuen – ganz gleich ob Orte, Dinge, Ideen, Arbeiten, Generationen oder Musikrichtungen – gnadenlose Faulheit durchschimmerte.
Ming kochte für alle, und wie soll man einem Mann misstrauen, dessen Karelischer Braten einem auf der Zunge zergeht? Er selbst nannte das Gericht Fhong-Bai-Braten, nach einem Rezept seiner Mutter, bloß dass er in der finnischen Variante sämtliche Gewürze wegließ. Keines von Dings Rezepten war
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