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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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auf.
    Den Grundstein des neuen Restaurants im Zentrum bildete ein günstiges, reichhaltiges Mittagsbuffet, weil der Finne so etwas mag. Man nehme eine Geldmenge X und verspreche dafür ein unbegrenztes Angebot. Zwar kann keiner Unmengen in sich hineinstopfen, aber Freiheit muss sein – der freie Zugriff auf Mais und Erbsen am Salatbuffet, die Freiheit, sich eine Megaportion Würstchen mit Ketchup zu nehmen. Was Ming zum Mittagessen servierte, war Cross-Kitchen nach seinen eigenen Vorstellungen: Neben den Aromen Asiens gab es Fleischklößchen nach Art der Oma aus Hanoi und vor allem das finnische Nationalgericht Pizza. Die Jugend bevorzugte Ho Tschi Bling-Bling, sprich den Schinken-Kebap-Chickenwings-Peperoni-Teigfladen. Den bekam man auch mit Roggenmehlboden, für den erwachsenen Geschmack.

Vatanescu setzte sich an den Fenstertisch, den die Leute von der Werbeagentur Kr-öm & co gerade verlassen hatten. Im Fenster sah er das Spiegelbild seines Gesichts: bärtig und ausgelaugt.
    Wecke mit Geldscheinen Vertrauen, beseitige jeden Verdacht.
    Ling Irmeli Po-Virtanen reichte ihm die Speisekarte und fragte, ob der Herr etwas trinken möchte.
    Vatanescu war gierig auf Wasser, doch sogar beim Trinken blickte er ständig zur Tür, weil er Angst vor der Frau aus der Ambulanz, dem Mann aus dem Arbeitsamt, den russisch-balkanischen Gangstern und den finnischen Polizisten hatte. Als er das Glas auf den Tisch stellte, flutschte ihm das Kaninchen aus dem Ärmel und landete neben dem kleinen Tablett mit Gewürzen.
    Höflich entfernte sich Ling Irmeli im Rückwärtsgang.
    Wir verstecken uns nicht mehr. Mit Jegors Geld kaufe ich uns eine Stunde Ruhe.
    Vatanescu kraulte das Kaninchen am Hals, was bekanntlich Mensch und Tier weich werden lässt vor Zufriedenheit, weil es Akzeptanz bedeutet und sogar Hass, Stress und allen Übereifer beseitigt.
    Und wer krault mich?

    Ling erzählte ihrem Vater, was sie gesehen hatte. Ming schaute von der Küche aus in den Gastraum und sah Vatanescu die Speisekarte studieren, er sah auch das Kaninchen an Salz- und Pfefferstreuer schnuppern. Ming erkannte sofort, mit welchem Typus er es zu tun hatte: Da saß ein Flüchtiger, der Zuflucht suchte. Und Ming wusste auch, was so einem am besten half: ein Gericht aus sieben Gängen; aromatisch, gehaltvoll, mit Anklängen mehrerer Kulturen, dazu ein bisschen Ästhetik und Überraschungen in angemessener Dosierung. Er sagte seiner Tochter, es spiele keine Rolle, was ein Kunde mitbringe, solange es nicht Lepra oder eine Selbstmordbombe sei. Hier esse man Hasen, Schweine, Rinder und vom anderen Ende der Welt angeschleppte Bambussprossen, da dürfe auch mal ein zahlendes Kaninchen im Gastraum sitzen. Im Heimatdorf seiner alten Mutter Ding hätten Mensch und Tier unter einem Dach gelebt, weil sie einander brauchten.

    Und dann kam das Wesentliche auf Vatanescu zu, das Essen. Ein gerolltes Stück Pizza, in dem sich eine Frühlingsrolle fand. Sojasoßen, Currysoßen, Chilisoßen, Huhn süßsauer, Schwein süßsauer, Karelischer Braten in Chilisoße. Das Kaninchen mümmelte drei Schüsseln Salat, trank eine Milch nach der anderen und legte sich zum Ausruhen auf Vatanescus Schoß. Kein Wunder, denn immerhin hatte es die erste vollständige Mahlzeit seines Lebens im Gastralraum oder wie das bei Hasenartigen heißt.
    Vatanescu betrachtete die Leute im Restaurant. Da saßen Männer mit weißem Kragen, da saßen die Kreativen und die Depressiven, dazu eine Gruppe Rentner, die von dem guten, reichlichen und günstigen Mittagstisch erfahren hatten. Da saßen Bauarbeiter mit gelben Helmen, und da saß eine Familie, bei der es so aussah, als würde zumindest der Vater über den Scheidungsantrag nachdenken.
    Der Junge pustet mit dem Strohhalm Blasen in die Cola.
    Das Mädchen wickelt die Nudeln mit den Fingern um die Essstäbchen.
    Was macht wohl mein Sohn jetzt, in diesem Augenblick?
    Zum Nachtisch bestellte sich Vatanescu einen Kaffee, holte sich drei Schälchen Obstsalat und suchte für das Kaninchen die Pfirsichstücke heraus, die es dann menschenhaft lutschte.
    Heute geht es uns gut.
    Wir nehmen uns ein Zimmer im Hotel – in einem, wo es Bademäntel gibt. Und morgen früh versuchen wir es dann noch einmal bei dem Mann im Arbeitsamt. Er hat uns ein Dach überm Kopf versprochen. Er war mehr gut als schlecht.
    Vatanescu zahlte mit einem von Jegors Scheinen und sagte zu Ling Irmeli, sie dürfe den Rest behalten. Er bat um zwei Plastikschalen für das übriggebliebene Essen

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