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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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schriftlich dokumentiert, Ming hatte sie samt und sonders durch Zuschauen, Mitmachen und Ausprobieren geerbt. Auf die gleiche Art würde er sie auch an seine Kinder weitergeben, von denen das erste 1984 auf die Welt kam und den Namen Ling Irmeli Po-Virtanen erhielt.
    Mings Restaurant musste mit einem Lokal namens »Zum kleinen Schluck« konkurrieren, das Bahnangestellten, Bibliothekaren und den Kerlen aus einem Maschinenbaubetrieb zum Mittagessen Schnitzel nach Art des Hauses und Brot mit eingelegtem Hering samt einem Fläschchen Bier offerierte. Abends ging man dann zu Carillo und Tafelwein über. Ming befolgte die Anweisungen seiner Mutter und passte sich an. Er hielt sein Restaurant etwas länger geöffnet als »Der kleine Schluck« und brachte die Betrunkenen dazu, das Essen mitzunehmen. Außerdem setzte er Schnitzel nach Art des Hauses auf die Karte. Kaum war Ling Irmeli drei Jahre alt geworden, ließ Ming sie in Küche und Gastraum. Das Kind erlernte so die Arbeit seines Vaters und fungierte gleichzeitig als Kundenmagnet. Denn ganz gleich, wie steif eine Nation auch sein mag, ein kleines Kind erweicht überall die Herzen. Selbst Diktatoren benutzen Kinder nicht bloß zu Propagandazwecken. Sie mögen sie wirklich und finden bei ihnen ein bisschen Ablenkung von ihren ständigen finsteren Plänen.

    Wäre in jenen Jahren das TV -Format »Meisterkoch« schon bekannt gewesen, hätte Ming die Castingshow gewonnen und dadurch einen Schub für seine Karriere erhalten, aber damals wurden lieber Sketchserien gedreht, weshalb Ming den längeren Weg gehen musste.
    Beim Essen kann man nicht betrügen. Gut genügt nicht, aber was großartig ist, setzt sich am Ende immer durch. Der Preis darf nicht zu hoch sein, doch darf das Großartige auch nicht zu wenig kosten. Ming holte sich Hühner, Schweinefleisch und Rinder vom finnischen Land, fischte selbst, lernte zu jagen, zauberte aus Elchfleisch seine eigenen Kreationen, stellte im Hinterhof Hasenfallen auf und lernte alle essbaren Pflanzen aus dem Wald zu verwenden, auch wenn die Finnen selbst sie seit dem Jahr 1750 nicht mehr kannten. Künstliche Geschmacksverstärker verwendete er nicht, denn in seinen Händen steckten die Aroma-Intensivierungsmittel, die er von seiner Mutter geerbt hatte: Liebe, Kühnheit, Kenntnis, Mut, Temperament sowie die Fähigkeit, auch mal einen Missgriff auszuhalten.
    Ab Mitte der achtziger Jahre trug sich das Restaurant in Helsinki-Malmi. Im Januar 1989 warfen Glatzköpfe in Bomberjacken ein Ruder ins Fenster und versuchten das Gleiche wenig später noch einmal. Doch Ming kam ihnen zuvor und hielt ihnen ein Boot aus Bambusblättern hin. Es enthielt eine Portion Ochsenfleisch süßsauer, und Ming bat die Glatzen, davon zu kosten, bevor sie zu Gewalttaten und Vandalismus schritten. Sollten sie ehrlich der Meinung sein, das Essen sei schlecht, dürften sie das Ruder werfen. Beziehungsweise »die Asylanten zum Teufel jagen«, wie ihr Slogan lautete. Pete, Miksu und Tumppi kosteten. Und siehe da: Schon wuchsen ihre Haare wieder. Sie reparierten das Fenster und fingen in Mings Restaurant als Sommeraushilfen an.
    Ming blieb fortan von Fremdenhass verschont, doch gegen die Rezession zu Beginn der Neunziger hatte auch er keine anderen Waffen als die Konkurrenz: zehn Finnmark das Bier. Sogar damit arrangierte er sich, hängte den Wok seiner Mutter vorübergehend an den Nagel und wartete am Zapfhahn auf bessere Zeiten, in denen die Menschen wieder Hunger hatten und nicht nur ständig Durst.
    An dem Tag des Jahres 1995 , an dem Ville Peltonen im Eishockey- WM -Finale drei Tore machte und sich vor dem Fernseher in Mings Lokal eine Menge Leute in Seglerjacken-Imitaten drängten, drehte sich das Boot. Schon am darauffolgenden Montag stiegen die Aktien der ethnischen Restaurants mit denen von Nokia um die Wette. Man nannte sie weiterhin ethnisch, obwohl sich beispielsweise Ming längst als Bürger Helsinkis fühlte und weniger als Vietnamese. Seine Kinder waren in Finnland auf die Welt gekommen, sie waren zweisprachig und einmütig.
    Bis aus der Innenstadt kamen die Leute nach Malmi, um bei Ming zu essen, weshalb er das Risiko einging und sein Lokal ans Ufer größerer Kundenströme in eine teurere Lage verlegte und zugleich ein zweites aufmachte, das er seiner Tochter anvertraute. Seit seiner Ankunft in Finnland waren zwanzig Jahre vergangen, und Ming hatte in dieser Zeit insgesamt siebeneinhalb Stunden geschlafen. Sein Ruhepuls wies einen Wert von hundertsechzig

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