Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
Vom Netzwerk:
Zweiten Weltkrieg, Filmen mit Clint Eastwood, Filmen von Matti Ijäs, Filmen von Edvin Laine, Western, dem Basketball- WM -Qualifikationsspiel zwischen Finnland und der Ukraine aus dem Jahr 1994 und mit der Vierschanzentournee 2000 als jüngste Aufnahme. »Gesegneter Wahnsinn« und »Abfahrt« gab es gleich auf vier Kassetten, weil Harri Pykström die Folgen jedes Mal erneut aufnahm, wenn sie im Fernsehen wiederholt wurden.
    Der Freitag war Harri Pykströms Videotag, wie auch der Montag, der Mittwoch und der Sonntag. Er fragte sich, ob heute der Tag für »Die Inventur«, »Der Ringer« oder »Der wunderbare Massenselbstmord« wäre, und er überlegte, ob er sich Ere Kokkonens filmische Handschrift im nüchternen Zustand anschauen oder ob er damit warten sollte, bis nach Mitternacht der Rausch für den nötigen Mehrwert sorgte. In ihrer frontalen Eindeutigkeit und stotternden Erzählweise erinnerten ihn die Filme dieses finnischen Regisseurs an die Lehrfilme der Streitkräfte, Pykströms ehemaligen Arbeitgeber. Kokkonens Kollege Risto Jarva wusste besser, was der Kern jedes Humors war: nicht Witz, sondern Traurigkeit. Das Leben ist eine traurige Angelegenheit, die dem Tod jede Minute näher rückt. Darum soll man lachen. Pykström war mit seinem gedanklichen Aphorismus zufrieden. Seit seinem Herzinfarkt kamen ihm häufiger mal solche Sachen ungefragt und ungebeten in den Sinn. Er hatte sogar seine Frau Maija gefragt, ob das Phänomen auf geistiges Wachstum oder bloß auf ein schwankendes Gemüt zurückzuführen sei, auf einen momentanen Ruck oder auf Gehirnchemie. Auf alles zusammen, hatte Maija gemeint. Und in dem Moment, gerade als Pykströms Hand nach »Dolly and Her Lover« greifen wollte, rief sie, das Essen sei fertig.

    Pykström stieg die Treppe hinauf, wobei die Knie unter seinen hundertzwanzig Kilo Lebendgewicht knackten. Er keuchte und schnaufte und dachte wieder einmal, dass er bei der Renovierung einen Lift hätte einbauen lassen sollen. Alles andere war gemacht worden, auf Wunsch seiner Frau und schließlich auch auf seinen Wunsch.
    Er hob den Pfannendeckel an. Nichts ging über Geschnetzeltes, außer der Duft von Pfeifentabak und eine frischgeköpfte Flasche Calvados. Vielleicht noch gegrillter Fisch von der Glut eines offenen Feuers, am liebsten Saibling. Pykström fragte seine Frau, wo die Preiselbeeren waren.
    »Siehst du nicht, dass ich Zumba mache!«
    Tatsächlich hatte Frau Pykström ihrem Mann das Essen hingestellt und zappelte selbst mitten im Wohnzimmer vor dem Fernsehschirm, auf dem sich ein Vortänzer verrenkte. Pykström betrachtete seine Frau, während er sich Geschnetzeltes und Kartoffelbrei auf den Teller und dann in den Mund schaufelte. Er musste an Natursendungen denken, in denen das Wachstum einer Pflanze beschleunigt gezeigt wurde, damit man den ganzen Jahreslauf in einer halben Minute sehen konnte. Er fragte sich, wie es wäre, die Entstehung des Rückenfetts seiner Frau im Zeitraffer zu zeigen, die ganzen dreiundzwanzig Jahre. Als sie sich kennenlernten, hatte sie dort eine straffe Schicht, jetzt schwabbelte bis zum Hintern hinunter die Sülze. Nicht dass es ein Problem gewesen wäre, nein, Harri Pykström verfügte über eine vergleichbare Menge an Fleisch in Aspik. Menschen, die lange in einer Paarbeziehung leben, ähneln einander irgendwann. Die letzten Fotos, die ihnen aus Australien geschickt worden waren, ließen den Schluss zu, dass es ihrem ältesten Sohn Jorma, der schon als Baby hauptsächlich pummelig und erst danach fröhlich genannt worden war, nicht anders erging. Pykströms Frau versuchte die Sülze durch Zumba loszuwerden, Pykström selbst, indem er sie vergaß.
    Er kratzte Preiselbeermarmelade aus dem Glas und holte den Gurkeneimer aus dem Windfang. Es war ein klarer, stiller Abend, und genau das war das Beste hier in Perä-Kompio: die Ruhe. Keine Nachbarn, keine Verwandten, nicht das Gedudel des Eisautos, kein überraschender Besuch. Eigener Grund und Boden, eigener Frieden, keine gottverdammten Beerenpflücker, die irgendeinen Scheißdreck vom Jedermannsrecht redeten.
    Pykström aß drei Teller voll, rülpste und bedankte sich.
    Dann schaltete er die Kaffeemaschine ein und setzte sich im Rücken seiner Frau auf die Couch. Er sagte, der zuckende Mann im Fernseher sei bloß deshalb so gut gelaunt, weil er wisse, dass überall auf der Welt fette alte Weiber seine DVD s bestellten. Warum? Nur weil sie nicht akzeptierten, dass sie älter wurden. Harri Pykström fand,

Weitere Kostenlose Bücher