Bettler und Hase. Roman
es mit Axt, Handsäge und riesiger Motivation zu renovieren. Aber wohin führt das bei einem Mann, der hundertzwanzig Kilo wiegt und gerade einen Herzinfarkt hinter sich hat? Per Satellitentelefon musste der Rettungshubschrauber gerufen und die Genesung anschließend im Bezirkskrankenhaus Rovaniemi fortgesetzt werden.
Am Krankenbett schwor Frau Pykström, ihren verrückten, fetten Mann keinen Moment mehr aus den Augen zu lassen. Sogar Jorma schickte aus Australien den dezenten Wunsch, nicht schon bald zur Beerdigung fliegen zu müssen. Mit der Hand auf Arto Paasilinnas Gesamtwerk schwor Harri Pykström, es von nun an ruhiger angehen zu lassen.
Die Renovierung wurde mit fremder Hilfe zu Ende geführt, und Arbeiter aus Helsinki, Estland und Norwegen erschienen auf der Baustelle. Unterdessen suchte Pykström nach neuen Finanzierungswegen, wobei ihm die Wildmarkgeschichten einfielen, die er als junger Student in seinem Wohnheimzimmer und später gern auf dem Klo gelesen hatte. Solche Geschichten waren eine potenzielle Geldquelle. Und da er als Oberfeldwebel einer Nachschubkompanie gezwungen gewesen war, täglich etwas auf der Schreibmaschine zu tippen, lag für ihn sogar ein Roman im Bereich des Möglichen. Ein Wildmarkroman, geschrieben für die gesamte Nordkalotte. Seiner Frau empfahl er irgendeine Tele-Arbeit, wenn erst einmal das Telefonkabel zum Häuschen gezogen war.
»Du spinnst.«
Frau Pykström hatte ein geisteswissenschaftliches Studium abgeschlossen, Hauptfach Kulturanthropologie. Das Thema ihrer Magisterarbeit lautete: »Die Welt der Frauen – Forschertagebücher vom Anfang der Welt bis zu ihrem mutmaßlichen Ende«. Sie versprach, die Lage nach der Renovierung neu zu beurteilen. Eventuell könnte sie hier ihre Doktorarbeit zu Ende schreiben. Auf jeden Fall musste erst einmal abgewartet werden, bis ihr verrückter Mann wieder zur Vernunft kam.
Harri Pykström befestigte die Zugvorrichtung am Quad und half den Bauarbeitern, indem er ihr Material den Hang hinauftransportierte. Immer nackt. Seine Frau fragte ihn, warum er diesen Naturismus praktiziere, worauf Pykström erwiderte, jeder dürfe auf seinem eigenen Grund und Boden tun und lassen, was er wolle und wie er es wolle. An sich war das für Frau Pykström nichts Neues, denn sie hatte ihren Mann schon immer als eine Art Forschungsobjekt betrachtet. Harri glich in gewisser Hinsicht den Männern des Hushu-Stammes mit ihrem Penisschlenkerritual, die Bronislaw Malinowski erforscht hatte. Aufrichtigkeit, Angeberei, Hingabe ans Leben. Das Bekenntnis zu Baumgottheiten, die Neigung, sich selbst zu erhöhen und zu erniedrigen. Wie könnte man so einen sitzen, geschweige denn auch nur eine Minute allein lassen?
Ist ein Menschenpaar erst mal verbunden, bleibt es enger zusammen als sonstige Paare in der Tierwelt. Es kommt zur Osmose, bei der einer zum Teil des anderen wird, auch wenn die beiden noch so gegensätzlich sind und für Außenstehende womöglich gar wie Teilchen wirken, die einander abstoßen. Harri und seine Frau hassten die Hobbys des anderen, sie das Schießen, er das Getanze vor dem Fernseher, so wie sie die Lieblingsfilme des jeweils anderen verabscheuten. Harri Pykström hatte als Erwachsener nur einmal gekotzt, nämlich als er zusehen musste, wie seine Frau den Film »Cocktail« in den Videorekorder schob. Aber genau deshalb liebten sie sich. Wenn Harri Pykström seine Frau »du Höllenfrikadelle« nannte, verstand nur Frau Pykström die tiefe Bedeutung dieses Wortes: Liebste, Kostbarste, komm, wir wärmen unser Bett, machen noch ein paar Kinder, obwohl wir schon fünfzig sind, obwohl ich Prostatabeschwerden habe und dir Gebärmutter und Eierstöcke entfernt worden sind. Frau Pykström und Harri Pykström standen zu ihren Eigenschaften, sie hatten sogar darüber gesprochen und alles zusammen als altmodisch und heilig eingestuft. Sie führten eine Beziehung, von der die Angehörigen jüngerer Generationen nichts verstanden, weil sie ständig damit beschäftigt waren, sich selbst zu suchen. Sie suchten nach ihrem Ich, nach ihrem Inneren und nach dem besten Ort zum Feiern. Statt den anderen zu suchen. Zu verstehen. Zu unterstützen. Zu lieben. Statt ihm was Gutes zu kochen, auch wenn es einem manchmal noch so auf den Senkel ging, sich mit ihm in demselben Gebäude aufzuhalten.
Frau Pykström brauchte für ihre Tele-Arbeit eine funktionierende Datenverkehrsverbindung sowie ein Arbeitszimmer. So wurde aus Pykströms Wildmarkhäuschen nach und
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