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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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Schuss Genervtheit, worauf es ihm leichterfiel, auf Harri Pykström einzuschlagen wie die Tennishelden seiner Kindheit: Vorhand, Rückhand, Vorhand, Rückhand, Vorhand, Volley, Stoppball, Vorhand, Vorhand, tödlicher Schmetterball auf die Linie, ein furchtbarer Hammer.
    »Tänk juu, Sizilianer«, rief Harri Pykström, bevor er zum kalten Bach rannte.
    Durch das beschlagene Fenster blickte Vatanescu auf einen Mann, der bei Mondlicht im Wasser planschte wie ein gestrandetes Walross.
    Und dann ging unser Held selbst ins Kalte, legte sich in der eisigen Strömung auf den Rücken, drückte den Kopf unter Wasser und lachte; neben dem Riesenbaby in der Wiege der Fjälls lachte Vatanescu über alles und nichts.
    Ob meine Gebärerin wusste, dass ihr einziger Sohn in einer bestimmten Lebensphase eine Flasche Branntwein mit Harri Pykström teilen würde? Oberhalb des Polarkreises, mit gefrorenen Hoden?
    »Steh auf!«, sagte Pykström und zerrte Vatanescu hoch, gerade als es sich allmählich gut anfühlte. »Ein Kumpel von mir ertränkt sich nicht.«

    Im Babyphon hörte man ein Schnarchen: Die Dolmetscherin war eingeschlafen.
    Pykström setzte sich vor der Sauna auf eine Bank aus Balken und kommandierte Vatanescu mit einem Kopfnicken zu sich. Er ließ zwei Dosen aufzischen und zündete sich mit einem gelben Feuerzeug eine Zigarette an. Vatanescu suchte in sich nach der gleichen Unbefangenheit in diesem Nacktsein, dieser Hitze drinnen und dieser Kälte draußen, suchte in der Klarheit des Sternenhimmels, aber so etwas kann man nicht nachahmen.
    Das kann man nicht lernen.
    Da muss man hineinwachsen.
    Vatanescu saß neben Pykström und interpretierte ihn.
    Ihr lebt abgelegen, aber mittendrin.
    Ihr seid total verrückt, beherrscht aber die Wasserisolation.
    »Yes, yes, Sizilianer. Singen wir ein bisschen!«
    Dem Rhythmus nach waren Pykströms Weisen Militärmärsche. Vatanescu mochte lieber Ziehharmonikamusik, die in viele Richtungen hüpfte, und von zuckenden Frauen vorgetragene Liebeslieder, aber wes Dünnbier ich trink, des Lied ich sing.
    »Das arme Volk aus Finnland … Nun sing schon, Mann aus Sizilien … es sprengt seine Fesseln, der Kelch des Leidens ist gefüllt bis an den Rand, es erhebet sich im Land …«
    Vatanescu versuchte mitzusummen, bekam die fremde Melodie jedoch nicht zu fassen. Sie blieb nicht hängen, denn sie kam von außen, nicht von innen. Pykström holte noch ein Bier aus dem Umkleideraum und ließ es aufzischen. Dann schlug er Vatanescu mit der flachen Hand auf den Rücken.
    »Du bist ein guter Kerl, und dein Hase ist es sowieso. Scheiße, Mann, ein echter Kerl. Alte Schule. Natur durch und durch. Edler Freund. Leck mich. Ein Beerenpflücker! Der Stollenschuhe sucht! Leck-mich-am-Arsch!«
    Ein Schluck, so groß wie die Dose, dann suchte Pykströms Fuß kurz auf den Bodenbrettern nach dem Rhythmus.
    »Unsre Schlagkraft ist der unbeugsame Hass, wir haben keine Heimat, wir kennen keine Gnade … Nein, warte. Der Onkel meines Vaters war in Hennala im Gefangenenlager, ich kenne die ganzen Lieder …«
    Pykström probierte und memorierte verschiedene Texte, Vatanescu sondierte seinen Körper. War es so kalt, dass es schon wieder heiß war? Nie erreichte Vatanescus Körper in diesem Land die Eigenwärme. Aus einem Raum mit hundert Grad in null Grad kaltes Wasser, und das machten sogar Kinder und alte Leute.
    »Wacht auf, Verdammte dieser Erde …«
    Das kam Vatanescu bekannt vor.
    »… Heer der Sklaven, wache auf …«
    Die Schule, exakte Reihen, alle mussten singen, und alle sangen. Ganz egal, wie der Text auch lautete, denn es ging ums Gefühl. Musik durchsticht die Schutzschicht, schiebt sich durch die Vernunft.
    »Brüder, hört die Signale!«
    Die Sauna hallte vom Echo zweier Sprachen wider, und es schallte im ganzen Universum, den Hang hinauf, durch die dreifach verglasten Fenster von Pykströms Blockhaus bis auf die Fensterbank, wo das Kaninchen schlief.
    »Auf zum leeetzten Gefeeeecht!!!«

In Jegor Kugars Leben setzte die Tiefkonjunktur ein. Es ging damit los, dass die Gelegenheiten, zu arbeiten, immer weniger wurden und man ihm das Erpressungs- und Folterrecht absprach. Außerdem wurde das bis dato kostenlose Wohnen plötzlich kostenpflichtig. All das führte im Seelenleben von Jegor Kugar zur Erlahmung – für ihn eine völlig neue Daseinsform.
    »Ich geb’s zu. Mein Kopf hielt es nicht aus. Der war sowieso ziemlich empfindlich, seit sie mir in Sankt Petersburg ein Ohr abgeschnitten hatten, aber

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