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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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sehe ich vielleicht wie einer aus, der in eine Praxis für psychische Gesundheit marschiert? Wenn die Nerven glühen, brüllen die Zylinder. Dann fährt das Moped zweihundert, und ich sitze mit Scheuklappen auf dem Bock. Ich hatte einen Traum, in dem ich Vatanescu umbrachte. Durch Ertränken, Erdrosseln, Ersticken mit einem Kissen, durch Zugucken, wie er entschläft. Dann hatte ich total kranke Träume, in denen ich mit Vatanescu angeln ging oder im Polohemd Tennis spielte und ihm anschließend High Five gab. Total verschwitzt wachte ich neben einer Braut auf, und es dauerte mehrere Minuten, bis ich meine Morgenlatte hatte.«
    So ist das nun mal. Wir alle, die wir schon einmal gearbeitet haben, kennen die Scheißtheorie. Was man in der oberen Etage als flambiertes Lendchen isst, platscht unter Umständen als Durchfall auf die Mitarbeiter in der unteren Etage. Deshalb, oder aber aufgrund von Menschenhass und -angst, verbarg Jegor Kugar nun auch bei bewölktem Himmel seine Augen hinter einer großen Sonnenbrille, setzte eine Mütze auf und noch eine Kapuze darüber. Auf der Mütze stand »Bär«, und was einmal wahr gewesen war, verwandelte sich nun in postmoderne Ironie, also in ein grausames Spiel.
    »Die Typen von der internationalen Dachorganisation erkundigten sich, was im Großherzogtum Finnland faul sei. Wer trägt die Verantwortung? Es kommen keine Abrechnungen rein, aber alle kassieren schön ihre Spesen. Hallo! Jeder Tag mit einer Null bedeutet, dass zehn Riesen fehlen, und ich muss gucken, wo ich den Schotter ausgrabe.
    Unsereiner ist verantwortlich. Und muss alles erklären.
    Ich hatte aber keine Erklärung. Wie konnte es zum Beispiel sein, dass einer wie Balthazar, der früher oft mehrere hundert pro Woche im Plus war, jetzt bloß noch zwei Euro im Monat brachte? Scheiße, vielleicht weil er zuletzt als Ziehharmonikaspieler in Örnsköldsvik gesehen wurde.«

Vatanescu erwachte umgeben von einem Duft aus Kräutern, Tomaten, Fetakäse, Räucherschinken und Zwiebeln. Verwundert ließ er den Blick über Decke und Wände schweifen.
    Bin ich gestorben?
    In Gräbern steht allerdings selten ein Fernseher, in dem ein finnischer Reporter schreiend kommentiert, wie ein bärtiger finnischer Langstreckenläufer olympisches Gold gewinnt, obwohl er zwischendurch hingefallen ist. Als Vatanescu den Kopf ein wenig drehte, fiel sein Blick auf den nackten Harri Pykström, der schlafend im Sessel saß, die Füße hochgelegt, die Fernbedienung in der rechten Hand.
    Vatanescu rappelte sich auf, breitete seine Decke über den Gastgeber, pflückte ihm die erloschene Zigarette aus den Fingern und ging blinzelnd nach oben.
    Dort fand er das Kaninchen, das auf dem Küchentisch geriebene Mohrrüben mümmelte. Frau Pykström wünschte Vatanescu einen guten Morgen und forderte ihn auf, sich etwas vom mediterranen Omelett zu nehmen.
    Vatanescu trank als Erstes ein Glas Wasser. Dann ein zweites und ein drittes. Wenn man in einem fremden Haus einen Kater hat, entspricht das einer Existenzkrise, weil man als menschliches Individuum dann nicht auf einem Fundament aus Beton steht, sondern im Sumpf. Man weiß nicht, wer man ist, wo man ist, woran man sich erinnert, woran man sich erinnern sollte. Frau Pykström sagte, sobald Vatanescu gegessen habe, sei es Zeit, aufzubrechen.
    Verzeihung, habe ich etwas falsch gemacht?
    »Bis heute Abend kann sich Harri nicht ans Steuer setzen. Ich hab die Eimer schon bereitgestellt. In der Kühltasche sind Beeren, Salat und eine Kanne Ziegenmilch fürs Kaninchen.«
    So zog Vatanescu einen Eisangler-Overall an, der ihm mehrere Nummern zu groß, mit straffgezogenen Riemen und umgeschlagenen Hosenbeinen jedoch tragbar war; dem Kaninchen gab Frau Pykström Babymütze und Schühchen von ihrem Sohn.

    Im Autoradio wurden die Temperaturangaben der Wetterstationen an der Küste und auf den Schären vorgelesen, das Kaninchen lag in einem leeren Eimer auf dem Rücksitz, während Vatanescu die in Braun und Rot gefärbten Wälder betrachtete. Er schaute auf die sanft aufsteigenden und abfallenden Höhenunterschiede vor sich, auf die plötzlich aufblitzenden Gewässer und auf die Fjälls. Hin und wieder tauchte zwischen den mickrigen Birken ein Rentier auf oder ein Mann. Plötzlich hüstelte Frau Pykström übergangslos ein paar Sätze:
    »Harri hat Träume wie ein kleiner Junge. Aber er ist ein alter Kerl, der bald sterben wird. Wie soll ich ihm das beibringen?«
    Tja.
    »Auf dich hört er, auf sonst keinen. Nie hat er

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