Bettler und Hase. Roman
braucht man dafür eine Genehmigung, aber fürs Beerenpflücken braucht man keine. Wieso, zum Teufel? Die Beeren, die Harri Pykström auf seinem Grund und Boden nicht pflückt, die soll auch ein Sizilianer nicht pflücken. Der erst recht nicht. Die Familien aus Helsinki mit ihren Gören gehen einem schon genug auf die Nerven, wenn sie sich im Urlaub hierher verirren und mit ihren Plastikschüsselchen Beeren für den Kuchen sammeln.
Pykström und Vatanescu standen sich gegenüber. Dem einen war vor Nacktheit kalt, dem anderen vor Nässe. Aber Pykström war nicht bereit, aufzugeben, und Vatanescu wagte es nicht, etwas zu tun oder zu sagen.
Schließlich löste Frau Pykström die Situation auf, indem sie den Hang heruntergerannt kam und ihrem Mann auf den Rücken sprang. Es sah aus wie eine Szene aus einem Kindertheater oder aus Dick und Doof mit zwei Dicken, von denen einer einen schweren Herzfehler hatte und deshalb im Nu mit seiner Kondition am Ende war. Frau Pykström gelang es, den Griff ihres Mannes um das Gewehr zu lockern, worauf es zu Boden fiel.
Harri Pykström brach auf dem Ufergeröll zusammen, Vatanescu schnappte sich die Waffe und warf sie weit weg in den Bach.
Die Macht hat der, der Kraft hat.
Die Beeren der, der ein Gewehr hat.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieses Trio begegnet? Der 1954 in Kirkkonummi geborene Harri Pykström, die 1958 in Helsinki-Tapanila geborene Frau Pykström und der an einem imaginären Ort in einem imaginären Jahr geborene Vatanescu? Aber da saßen sie nun trotzdem außer Atem zusammen an dem Bach. Der eine ängstlich, der andere gierig nach dem nächsten Kurzen, die Dritte zornig, weil ihr Mann die unfassbare Gabe besaß, dramatische Szenen herbeizuführen, sei es mit seinem Herzen oder mit einem sizilianischen Beerenpflücker.
Frau Pykström fragte Vatanescu, wer er sei.
Wer ich bin?
Er entledigte sich der nassen Hose, wrang sie aus und schlug vor, zur Versöhnung einen Beerenkuchen zu backen, nach dem Rezept seiner Großmutter Klara.
»Was redet der?«, wollte Pykström von seiner Frau wissen, die es ihm übersetzte.
Pykström hievte sich hoch und sagte, Vatanescu werde sich jetzt schleunigst wieder auf den Weg machen, dorthin, woher er gekommen war oder wohin er wollte. Man wird ja wohl auch ohne Gewehr noch einen Burschen aus Sizilien auf Vordermann bringen können. Er machte einen Schritt auf Vatanescu zu und streckte die Hand aus, um nach der Kehle des anderen zu greifen.
Da kam das Kaninchen hinter einem Stein hervorgesprungen und setzte sich auf den nächsten Stein.
Und was schlecht war, wurde schlagartig gut.
Einer, der tut, was Vatanescu getan hat, der ist ein Mann, sagte Pykström immer wieder. Geht in den Wald, findet das wahre Leben, vergisst die Konventionen, Sitten, Vorschriften, tut das Notwendige und stellt seine Kultiviertheit gerade dadurch unter Beweis, dass er sich an den Rand der Zivilisation begibt. Pykström schüttete Vatanescu sein Herz aus, erzählte wortreich von der Enttäuschung seines Lebens, davon, dass er sich frage, worin eigentlich der Unterschied zwischen Wildmark und Ballungsraum bestehe, wenn man hier wie dort Fußbodenheizung und Satellitenschüssel haben könne. Überall nichts als die reine Banalität, das Leben von Harri Pykström. Der Mensch kann seinem Leben nicht entkommen, auch wenn er es noch so will.
Ich habe nicht gewusst, dass ein leichtes Leben auch ein schweres Leben sein kann.
Vatanescu saß auf der Couch, die sich nach Harri Pykströms Hinterteil geformt hatte, und bekam eine Dose Dünnbier in die Hand gedrückt.
»Du bist ein feiner Kerl, Mann aus Sizilien.«
Pykström trat an sein VHS -Regal, ließ den Blick darüberschweifen und rief mit bübischer Freude hurra.
»Grrreat«, kam es aus dem Babyphon auf dem Tisch des Videoraums, über das Frau Pykström hörte, was ihr Mann redete, und alles vom Erdgeschoss aus simultan dolmetschte. Seit dem Herzinfarkt benutzten sie das Gerät als hausinternes Telefon, damit Harri über eine Standleitung in die anderen Räume verfügte. Nun befahl er seiner Frau, zu übersetzen, dass die Art, wie Antti Litja in »Das Jahr des Hasen« spielte, das Genialste war, was es im finnischen Film je gegeben habe. Wie sich die ständige Genervtheit und Gereiztheit und Unzufriedenheit auf den Zuschauer übertrug, dieser Druck, der sich innerlich anstaute. Und gleichzeitig die Wärme gegenüber dem Hasen. Dieser Mann klagte und lamentierte nicht, sondern tat, was
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