Bettler und Hase. Roman
ein komplett gesäubertes Moor, als er das Zelt zum Basislager mit den Eimern schleppte, wo er sogleich nach dem Telefon tastete.
Harri Pykström bringt mich und die Beeren zur Verkaufsstelle.
Wo ist das Telefon?
Wo ist das Telefon?!!!
Es war unterwegs in den Sumpf gefallen, wo es in die Tiefe sank und nun vor sich hin oxydierte. Sollte es irgendwann jemand finden, dann ein Archäologe, der das Verhalten und Vergeigen des Menschen im ersten Jahrzehnt des 21 .Jahrhunderts erforscht, im Zeitalter der Völlerei.
Nur keine Panik!
Vatanescu schaute auf den Kompass. Er würde die Richtung, aus der er gekommen war, schon finden.
Zwei Schritte vor, einen zurück.
Eine Straße.
Ein Auto und eine Straße.
Eine Autostraße. Dorthin.
Ich kann acht Eimer auf einmal tragen.
Vatanescu suchte sich einen starken, langen Ast als Tragegestell und legte ihn sich über die Schultern, wie es die Sklaven in Ägypten und die Frauen in Mittelfinnland taten. Dann bat er das Kaninchen, voranzuhoppeln, den Weg zu bahnen, Sumpflöchern auszuweichen.
Wo eine Straße ist, ist auch ein Mensch. Jemand kommt mit Sicherheit vorbei. Ein Retter. Ein deutsches Wohnmobil. Ein Junge aus dem Dorf mit quietschenden Reifen.
Nach dem dritten schweren Schritt gab es eine Explosion.
Kies, Steine, Moosbülten prasselten auf Vatanescu herab.
Jetzt bin ich tot.
Vatanescu verlor das Gehör. Er hörte nichts, was von außerhalb seines Körpers kam, aber in seinem Kopf hämmerten die Herzschläge derart, als würde sein Nachbar Rammstein hören.
Bin ich doch nicht tot?
Was ist mit dem Kaninchen?
Es schlotterte neben ihm auf einem Steinbrocken, der vom Himmel gefallen war. Vatanescu näherte sich dem Kaninchen ganz ruhig, nahm es in die zur Schale gewölbten Hände und versteckte es unter der Achsel. Dann sammelte er die Beereneimer ein.
War das ein Militärmanöver?
Krieg?
Eine Atomexplosion?
Das Ende der Welt?
Vatanescu ging blindlings übers Moor, denn jetzt halfen weder Kompass noch Vernunft, jetzt gaben die Todesangst und die unmittelbar benachbarte Panik den Ton an. Plötzlich hatte er einen Trampelpfad unter den Füßen, fest und eben, von Menschen oder Rentieren gemacht.
Falls das ein Weg ist …
… führt er zu einer Straße …
Falls eine Straße kommt …
führt sie …
zu einem Menschen.
Der Pfad setzte sich zwischen den Krüppelbirken fort, weiter, als das Auge reichte.
Für eine Sprengung braucht man einen Menschen. Der Sprenger hat ein Auto. Das Auto eine Anhängerkupplung. Daran wird ein Anhänger befestigt. Der Anhänger kann die Beeren transportieren.
Auf einmal bebte Vatanescu am ganzen Leib. Er versuchte zu erfühlen, ob das bloß der Herzschlag war, wohl kaum, denn das Zittern ging von den Fußsohlen aus.
Immer schneller wurde der Rhythmus, tu-tumm, mu-tumm, bumbum!
Vielleicht bin ich wirklich tot.
Vielleicht bin ich in der Hölle gelandet.
Die Entscheidung für das größte Einkaufs-, Hotel-, Amüsier- und Golfzentrum in Nordeuropa war leicht zu treffen gewesen. Es hatte genügt, mit dem Zirkel einen Kreis auf die Karte zu zeichnen, und schon hatte man im Radius von dreihundert Kilometern das Konsumpotenzial von vier Ländern. Als dann auch noch beschlossen wurde, ein Rentnerwohnheim mit höchst exotischer Aussicht anzugliedern, erreichten den Bauherrn umgehend Vorbestellungen aus Amerika, Kanada und von Diktatoren aus Mittelamerika. Ins Dorf Raattama käme eine Eishalle, wo die finnische Nationalmannschaft dann in einer interkontinentalen Profiliga spielen sollte. Ansonsten Modeläden, Autohäuser, Supermärkte, Maschinenverleih.
Eine ganze Stadt würde bei dem Projekt entstehen.
Und eine Stadt brauchte öffentliche Dienstleistungen, ärztliche Versorgung, Bibliothek, Schulen. Dies wiederum eröffnete die Möglichkeit, die Baumaßnahme zur Hälfte aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren.
Was hier entstehen sollte, war eine Schwedenfähre der jüngsten Zeit, kombiniert mit einem Komplex wie dem sowjetischen Bergwerkskombinat Kostamo und den Goldgräberstädten des Wilden Westens. Das hier würde ein neues Las Vegas werden – so jedenfalls hatten es die Investoren Taive Sikari und Kerkko Kolmonen in ihrer Eröffnungsansprache formuliert, bevor man Bänder durchschnitt, Grundsteine mauerte und für die Fotografen lächelte.
Als der Vertrag unterschrieben war, brauchte man Arbeitskräfte für die Baustelle. Kolmonen und Sikari hatten freilich nicht die Absicht, sich dem finnischen Lohnniveau und den
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