Bettler und Hase. Roman
schaffen.
Ich suche mir eine Wohnung und miete sie; zwei Zimmer, Fliesen, gleichmäßig warmes Wasser, eine helle Lampe.
Ich besorge mir ein Auto, eine Kiste für tausend Euro, mit der ich nur auf die Touren gehe, die ich selber will. Ich werde die Frau anrufen, die neben mir schläft, und sie ins Kino einladen. Ich werde ihr von mir erzählen und sie mir von sich. Wir lernen uns kennen, und irgendwann stelle ich sie Miklos vor und meiner Sippe.
Könnte es so werden?
Vatanescu durchsuchte seinen Overall und fand, was er suchte, ein Stück Schokolade in Silberpapier. Er wickelte es aus der Folie, als Sanna Pommakka aufwachte. Sie schaute Vatanescu freundlich an, ohne Angst, ohne Verlorenheit oder das Leeregefühl des Werktagmorgens.
»God morgon, äh, good morning.«
Willst du ein Stück Schokolade?
»Mmm … wo sind wir? Lass uns irgendwo frühstücken gehen, wenn wir in der Stadt sind. Wir haben ja noch Geld.«
Wir sind fast da.
»Bleiben wir … ich meine, gehen wir zusammen?«
Wohin?
»Irgendwohin. Wo gehst du hin?«
In ein Sportgeschäft.
»Ich komme mit … Vata. Ich geh mit dir ins Sportgeschäft.«
Vatanescu lutschte nur an der Schokolade, denn wenn er abbisse und ein Stück davon in das Loch in seinem Backenzahn geriete, würde der Schmerz nur mittels einer Handvoll Schmerztabletten wieder weggehen.
Sanna Pommakka zog Vatanescu an sich und legte ihren Kopf an seine Brust.
Noch besser wäre es, wenn ich jemanden hätte, der die Stollenschuhe für mich kauft.
Einen Stammkunden. Bist du Stammkundin?
»Ja.«
Bonuskarte?
»Hab ich.«
Sozialversicherungsnummer, Telefonnummer, fester Wohnsitz?
»Alles da, mein Guter.«
Und so packten Vatanescu und Pommakka ihre Sachen, versauten aber zwischen den Bahnhöfen Järvenpää und Helsinki noch einmal schnell die Bettwäsche. Hätte Vatanescu anschließend sein vorherrschendes Gefühl benennen müssen, wäre es Mattigkeit gewesen. Sanna Pommakka hätte Selbstvertrauen als dominierende Empfindung angegeben. Sie waren sich zufällig ohne Geld, ohne Amt und ohne Würde über den Weg gelaufen, und jetzt hatten sie eine gemeinsame Zukunft vor sich. Das Grüppchen war ohne Kaninchen allerdings nicht komplett; dessen dominierendes Gefühl war unterdrückte Eifersucht.
Vatanescu und Sanna Pommakka fühlten sich nun fähig, sich mit geradem Rückgrat in die Gesellschaft zu begeben, oder wenigstens an ihren Rand. Zu denjenigen, die ihr Leben in Ordnung hielten, ihre Kreditraten im Griff hatten, alle drei Jahre das Auto wechselten, die es sich leisten konnten, die Kinder zum Reiten oder zum Schlagzeugunterricht zu bringen oder irgendwohin, wo sie mit Fingerfarben Geschmier fabrizierten, und die es sich leisten konnten, die Kinder ein ums andere Mal zu loben, obwohl ihr Geschmier nichts als Geschmier war.
Sanna fragte sich, ob sie mit diesem Mann so eine Welt betreten konnte. Vatanescu dachte hauptsächlich an die Stollenschuhe, aber er hatte nur zu gern den Duft von Pommakkas Haar in der Nase.
Sie standen an der Tür, der Zug bremste lange, bis er zum Stehen kam, und selbst wenn sie am Ende doch kein Paar werden sollten, so trugen sie doch den Zauber des Nachtzugs Kolari–Helsinki in sich.
Vatanescu wurde wie ein Filmstar empfangen. Mit Kameras, Handys, Autogrammblöcken, Medien und Produktionsfirmen. Eine Frau wollte ein Autogramm auf ihre Brüste, eine andere auf den Bauch ihres Babys, ein Mann wollte eins aufs 1 -Prozent-Patch seiner Kutte. Die Menschenmasse drängte zwischen Sanna Pommakka und Vatanescu, ihre Hände verloren den Kontakt und dann auch ihre Blicke. Sanna rief Vatanescu noch laut ihre Adresse zu, aber sie blieb in Vatanescus Kopf nicht hängen.
Wenn es vorbestimmt ist, sehen wir uns wieder.
»Was ist das für ein Gefühl?«, fragte ein Sportreporter.
Feiert ihr hier immer so, wenn ein Mann eine Frau trifft und die beiden den Weg von der Einsamkeit zur Vereinigung finden?
Seid ihr verrückt?
Kleine Mädchen rupften Vatanescu Haare aus, kleine Jungen bewunderten seinen Arbeitsoverall. Vatanescu sah T-Shirts mit Bildern von sich und dem Kaninchen. Am Bahnsteigende waren Buden aufgebaut, die Erzeugnisse aus der Vatanescu-Produktfamilie verkauften. Es gab Leute in Kaninchenkostümen, und es gab Leute, die als Bettler verkleidet waren.
Die reine Verrücktheit.
Würdet ihr mal Platz machen …
… lasst ihr mich mal durch …
… ich muss ein Sportgeschäft finden.
Dann erkannte Vatanescu im Menschenmeer eine Gestalt. Genauer gesagt
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