Bettler und Hase. Roman
Übergewicht, all das, was er sich um der politischen Glaubwürdigkeit willen zugelegt hatte, sah bei einem Arbeitslosen nach schierer Willensschwäche aus. Zwar standen in seinem Kellerabteil daheim noch Heikki Hamuttas Stiefel, aber die wagte er nicht einmal anzuschauen.
Simo Pahvi fragte sich, was sein ungeborenes Kind über einen Vater denken würde, der gleich nach dem Totoschein den Antrag auf Arbeitslosengeld ausfüllte. Es fehlte nicht mehr viel bis zum lähmenden Selbstmitleid, als Pahvi den Treibstoff bezahlte und sich wieder in den Wagen setzte. Nur wenig später, auf der Beschleunigungsspur, ereignete sich die zweite Erleuchtung im Leben des Simo Pahvi.
Am Straßenrand stand nämlich ein Anhalter. Normalerweise nahm Pahvi keine Tramper mit, aber nun hatte er Platz im Wagen und viel Zeit. Er streckte sich und öffnete die Beifahrertür.
»Wohin soll’s denn gehen?«, fragte er.
»Das frage ich dich«, sagte der Anhalter.
»Nach Lahti?«
»Du hast mich gerufen«, sagte der Mann.
»Also, nicht dass ich wüsste, nein …«
»Ich bin Jeesus.«
»Jesus?«
»Jeesus Mähönen, servus. Aber jetzt sag schon, wo der Schuh drückt, Kamerad. Wohin führt dein Weg?«
Pahvi legte den ersten Gang ein und beschleunigte.
»Ganz egal. Ich dachte, ich fahr irgendwohin, meinetwegen nach Mikkeli.«
»Falsch. Du fährst jetzt heim. Dort wirst du gebraucht.«
Pahvi blickte auf die Straße vor sich, auf die Eichhörnchenkadaver am Rand, auf den toten Marderhund und auf den Mann, der sein Fahrrad schob, den Gepäckträger voller leerer Flaschen. Er sah die Funkmasten und die Sprungschanzen von Lahti und bat Jeesus, noch einmal zu wiederholen, was er gerade gesagt hatte.
»Du wirst daheim gebraucht.«
Das stimmte, vorausgesetzt man wusste, wo man daheim war. Daheim war er bei seiner Marjatta und in seiner Partei.
»Bei der nächsten Abfahrt fährst du runter und machst dich auf den Weg nach Hause.«
Und Simo tat, wie ihm geheißen.
»In diesen Tagen wird dir ein Kind geboren werden«, sagte Jeesus Mähönen. »Kümmere dich zuerst um dieses Kind und anschließend um alles andere. Du sollst den Menschen den Weg zeigen. Du sollst ein Verkehrspolizist des Lebens sein. Ein Verkehrspolizist der Innenpolitik. Du musst wissen, wo die Ampel Rot und wo sie Grün zeigt, auf welcher Straße der Verkehr läuft und wo es zu Staus kommt. Und wo der breite Sondertransport fährt, den man vor Viitasaari nicht überholen kann.«
Pahvi sagte, er verstehe manchmal nicht einmal seine eigenen bildhaften Vergleiche, Jeesus solle doch bitte unmissverständliches Finnisch mit ihm reden.
»Verlasse dich auf deine Fähigkeiten, Pahvi! Nur und gerade dann wird in der finnischen Politik aus dir eine Gestalt, die größer und mythischer ist als Heikki Hamutta. Verstehst du?«
Simo dachte nach.
»Denke ruhig nach, aber bleibe nicht in deinen Gedanken stecken! Du musst eine Entscheidung treffen. Ob gut oder schlecht, eine Entscheidung ist immer besser als ein Zwischenzustand. An der nächsten Raststätte steige ich aus.«
Pahvi setzte Jeesus an der Tankstelle ab, und obschon ich der allwissende Erzähler bin, kann ich nicht sagen, ob es sich tatsächlich um den Messias selbst gehandelt hat oder doch nur um Jesse Mähönen, der aus der Klapsmühle in Kellonkoski ausgebüxt war. Aber was soll’s, beim Glauben geht es ohnehin nicht darum, ob alles der Wahrheit entspricht, sondern eben ums Glauben.
Pahvi machte einen Abstecher zum Lebensmittelladen und deckte daheim feierlich den Kaffeetisch, samt einer Packung Vanilleeis und fertiger Schokoladensoße. Seine Frau wollte wissen, was es zu feiern gab, ob man nicht gestern noch mit den tiefsten Tiefen und der größten Hoffnungslosigkeit der Welt gerungen habe.
»Wir feiern Zeugungsmaßnahmen«, antwortete Pahvi, und zum ersten Mal klang er so zupackend, wie man es von ihm noch kennenlernen würde. »In dir wächst ein Stück von mir, Marjatta. Und morgen besorge ich fünftausend Unterstützerkarten für die Partei.«
»Für welche Partei?«
»Für meine Partei. Für die Partei der Gewöhnlichen Menschen. Nimmst du Sahne im Kaffee?«
Am Anfang war der Zuspruch gleich null gewesen, derzeit lag er bei dreiunddreißig Prozent. Dank einiger Angewohnheiten, die er von Hamutta übernommen hatte, dank selbstentwickelter Methoden und dank der Tipps von Jeesus schlich sich Simo Pahvi mit seiner saloppen Resolutheit nach und nach ins Bewusstsein der Bevölkerung. Nach Ozzy Osbourne war er somit der
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