Bettler und Hase. Roman
verkündete, was an der Welt falsch war, und erklärte gleich darauf, wie man die Fehler beheben musste.
Als Simo Pahvi das hörte, trat er unverzüglich in die Partei ein und berichtete zu Hause den Eltern von seinen neuen Karriereplänen. Er träumte nun nicht mehr davon, Lokomotivführer oder Feuerwehrmann zu werden, sondern Politiker. Minister. Ministerpräsident.
Was bei Pahvi gezündet hatte, war Hamuttas Wortgewalt gewesen, der richtige Rhythmus, das Timing beim Reden, die Kommunikation mit einem großen Publikum, die Fähigkeit, den herrschenden Geist zu wittern. Welche Politik Hamutta betrieb, war Nebensache, nicht ganz unwichtig, aber hätte man sie Pahvi in anderer Form vor die Nase gesetzt, zum Beispiel stotternd oder im Universitätsjargon, wäre der Effekt bei ihm gleich null gewesen.
Dies war die erste Erleuchtung des Simo Pahvi.
Im Alter von neun Jahren hatte er seinen Weg und den Sinn des Lebens gefunden. Er kaufte sich einen schlechtsitzenden Anzug bei Herrenkonfektion Impiniemi, so wie er es immer noch tat, alle zehn Jahre einen neuen. Er besorgte sich eine große Brille ohne Sehstärke und hörte auf, Fußball zu spielen, weil er einen überzeugenderen Körper haben wollte. Dazu gehörten Dickleibigkeit und Doppelkinn; die mussten sein, wenn man als Politiker ins Radio und ins Fernsehen wollte.
Hamuttas Achtung erwarb sich Simo dadurch, dass er Telefonbücher zu den Versammlungen schleppte, auf die er sich setzte, um sich mit den anderen auf Augenhöhe zu befinden. In gleicher Weise verfuhr er am Rednerpult und erhielt nach Hamutta den meisten Applaus. Wenn einer mit nicht mal zwanzig so einen Willen zeigte, verhieß das eine große Zukunft in der Partei der Gewöhnlichen Kleinbauern. Hinzu kam, dass Heikki Hamutta die Notwendigkeit eines Maskottchens erkannte. Mit einem Kind konnte man Warmherzigkeits- und Humanitätspunkte einheimsen.
So ging das zwanzig Jahre. Pahvi wurde in den eigenen Reihen bekannt und stieg zum zweiten Mann in der Parteiorganisation auf. Außerhalb der Partei wusste man nichts von ihm. Er kandidierte fürs Parlament, kam aber nicht hinein. Deswegen resignierte er freilich nicht, sondern machte als treuer Gefolgsmann von Heikki Hamutta weiter.
Er fuhr mit ihm übers Land, mal mit dem Traktor, mal mit dem Moped, manchmal auch mit dem Bus, an dessen Steuer stets ein weiterer Getreuer von Hamutta saß: der Kraftfahrer Esko Sirpale.
In den guten Stuben der Bauernhöfe von Parteimitgliedern wurden, ohne auf die Uhr zu schauen, die Probleme der gewöhnlichen Kleinbauern verhandelt und Verbesserungen in Aussicht gestellt. Üblicherweise bot der Besitzer des jeweiligen Hofes Kost und Logis, und als Simo Pahvi eines Abends schlafen ging, brachte ihm die Tochter des Hauses ein Mittel gegen Sodbrennen.
Das war sie: seine künftige Ehefrau und die Mutter seiner Kinder. Simo Pahvi war ein geradliniger, konservativer Mann, weshalb er auf der Stelle um Marjattas Hand anhielt. Am nächsten Morgen bat er ihren Vater um dessen Zustimmung, und einen Monat später waren sie verheiratet. Wieder zwei Monate später erwartete Marjatta das erste Kind.
Während in Marjatta neues Leben heranwuchs, schwand es aus Heikki Hamutta. Prostatakrebs, das Alter – der Zähler mit den vielen gefahrenen, zu Fuß gegangenen, gekämpften Kilometern wurde voll. Darauf war Pahvi nicht vorbereitet. Man ist nie vorbereitet, wenn die übermächtige Galionsfigur einer Bewegung, eines Eishockeyvereins oder eines Musikensembles plötzlich abtritt und nichts als Stiefel hinterlässt, die keinem passen. Keiner der möglichen Nachfolger kann darin gehen, keiner weiß, wie man die schlappende Sohle handhabt und an welcher Stelle sich die Löcher befinden, durch die das Wasser abläuft.
Hinzu kam, dass die Kleinbauernhöfe samt ihren Besitzern allmählich verschwanden und es bald weder Leute noch Interessen gab, für die man hätte eintreten können. Heikki Hamutta starb, die Partei ging in Konkurs, und viele glaubten, dass auch die Ideologie tot sei.
Im Alter von dreiunddreißig Jahren musste Simo Pahvi einsehen, dass er ein arbeitsloses politisches Talent war. Er merkte es beim Betanken seines Wagens an der Autobahnraststätte Windrose in der Provinz Päijät-Häme. Er hatte nicht genug Geld, um vollzutanken, er hatte keine Ahnung, wohin er fuhr, ja er wusste nicht einmal mehr, wo er herkam. Und was für diese Autofahrt galt, das galt auch für sein ganzes Leben. Die Brille, der unpassende Anzug und das
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