Betty kann alles
«‹Stellen Sie soviel Leute an, wie Sie brauchen›, hat er gesagt, ‹und verschonen Sie mich mit allen unwichtigen Einzelheiten.› Ich soll einen Bootlegger für ihn ausfindig machen, und mich erkundigen, in welche Schule seine Töchter gehen können, ihn mit den richtigen Leuten bekanntmachen, ihn bei den besten Clubs als Mitglied anmelden, bei einem erstklassigen Dentisten eine Verabredung für ihn treffen, weil er eine neue Brücke braucht, ein Pauschalabkommen mit einer Taxigesellschaft treffen, ein Konto für ihn bei einem Blumengeschäft, einer Papeterie und einer Firma für Büromöbel eröffnen und ihm Büroräume im Geschäftsviertel mieten.»
Wir alle hörten Mary voll Bewunderung zu, und ich fragte, ob für diese fabelhafte, sehr gut bezahlte Sekretärinnenstelle Stenographie und Schreibmaschinenkenntnisse verlangt worden waren.
Bevor sie antwortete, zündete sich Mary eine Zigarette an, zog einen Mundwinkel hinunter in echter Verkörperung der personifizierten Tüchtigkeit, und sagte dann: «Um Himmels willen, Betty, hör endlich auf, dich wegen dieser elenden Stenographie verrückt zu machen. Hunderte von Mädchen haben sich um die Stellung beworben, und du kannst Gift darauf nehmen, daß eine Menge dabei waren, die zweihundert Silben in der Minute stenographieren können und so schnell Maschine schreiben, daß das Farbband heißläuft, aber wen interessiert das schon? Glaubst du, eine von denen hätte einen zuverlässigen Bootlegger gewußt?»
«Weißt du denn einen?» fragte jemand.
«Nein, aber bis Chalmers kommt, werde ich einen wissen. Schreib dir eines hinter die Ohren, Betty: Die Welt ist voll von Leuten, die fließend die Ideen anderer stenographieren können. Wir haben selbst Ideen in unseren Schädeln.»
Es war sehr nett von ihr, «wir» zu sagen.
3
Am Montagmorgen zitterten meine Hände wie Gallerte, als ich den gestärkten weißen Kragen auf das grüne Wollkleid nähte, das Mary mir geliehen hatte. Ich war sehr dünn, käseweiß, und mit meinen roten, in der Mitte gescheitelten und im Nacken zu einem Knoten zusammengefaßten Haaren fand ich mich den von Mary so verachteten, verschüchterten Büromäusen sehr ähnlich. Mary behauptete, ich sähe ausgesprochen tüchtig aus und sehr gescheit. Mutter, wie immer, war der Meinung, ihre beiden Töchter seien bildschön, und meinte, wir sollten uns keine unnötigen Sorgen machen. Ich küßte die Kinder zum Abschied, und sie hängten sich nicht an mich und bettelten, ich solle doch daheim bleiben, wie ich dies erwartet hatte. Dann verließen wir das Haus, und ich setzte mich zur Autobushaltestelle in Bewegung. Hundertmal hatte ich mir dies alles ausgemalt. Ich hatte mich gesehen, wie ich mit den anderen Leuten, die auf dem Weg zur Arbeit waren, an der Ecke warten, die kühle feuchte Frühlingsluft einatmen und unbewußt die Geräusche der Straße aufnehmen würde, während ich mich in Gedanken mit meiner neuen Stellung beschäftigte.
Meine Tagträumerei wurde jäh von Marys Ruf unterbrochen. «Wohin gehst du denn?» «Zum Autobus», erwiderte ich. «Komm zurück», befahl sie energisch. «Von jetzt an fahren wir im Taxi zur Arbeit. Mr. Chalmers wünscht nicht, daß wir im Autobus fahren.» «Du vielleicht nicht, aber ich?» gab ich erstaunt zurück.
«Hättest du nicht meine alte Stellung übernommen, wäre ich nie imstande gewesen, Mr. Chalmers' Privatsekretärin zu werden», belehrte mich Mary. «Also hat er auch dich zu berücksichtigen, und das werde ich ihm schon klarmachen. Hier ist ein Taxi. Mach nicht so ein verhetztes Gesicht, setz dich hin und mach dir's bequem.»
Das Büro des Mineningenieurs, für den ich arbeiten sollte, befand sich im obersten Stockwerk eines Geschäftshauses in dem Viertel der Stadt, in welchem die Finanzwelt ihre Büros hatte. Es gab bekannte Anwälte, Versicherungsagenten, Makler und Holzimporteure in dem Gebäude, und Mary schien mit allen auf familiärem Fuß zu stehen.
In der Halle unten machte sie mich mit ungefähr fünfzehn Leuten bekannt und erklärte, daß sie mich frisch aus den Bergen geholt habe, damit ich ihre Stelle als Mr. Websters Privatsekretärin übernehme. In ihrer Schilderung klang es, als habe sie mich förmlich mit Gewalt der Natur entreißen müssen. Um ihrer Erzählung gerecht zu werden, hätte ich eigentlich ein paar Nüsse oder Beeren aus der Tasche nehmen und daran knabbern müssen.
Im Fahrstuhl stellte ich Mary zur Rede. «Du weißt, daß es mir sowieso schon an
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