Betty kann alles
Selbstvertrauen fehlt, Mary. Daß du mich jetzt noch all den Leuten als eine Art Mowgli vom Pazifischen Ozean darstellst, hilft mir wenig.»
«Sei froh, daß ich dich nicht aufgefordert habe, deine Pfeilwunden zu zeigen», wies mich meine Schwester zurecht. «Und reg dich nicht auf, das hat doch gar nichts zu sagen. Die Mehrzahl dieser Leute führt ein so trübseliges und langweiliges Leben, daß ich es für meine Pflicht halte, sie allmorgendlich mit irgendwelchen Schwindeleien aufzuheitern.»
Mr. Websters Büro war mit herrlichen Mahagonimöbeln und echten Teppichen ausgestattet, und die Fenster boten eine wunderbare Aussicht auf den Hafen, Puget Sound, ein paar Inseln und das ferne Gebirge. Mein Schreibtisch stand in dem kleinen Vorzimmer, das zugleich Wartezimmer war, und nachdem mir Mary gezeigt hatte, wo ich Hut und Mantel hinhängen konnte und wie man die versenkbare Schreibmaschine an die Oberfläche beförderte, wollte ich mich gleich daran machen, meine kläglichen Schreibkünste durch fleißiges Üben zu verbessern. Doch davon wollte Mary nichts hören. Sie zündete sich eine Zigarette an, ließ sich an Mr. Websters Schreibtisch nieder und mahnte mich: «Beobachte mich und lerne, wie man sich in einem Büro benimmt.»
«Wenn ich eine Ahnung hätte, wann Mr. Webster des Morgens kommt, wäre ich weniger nervös», bekannte ich.
«Ach, der kommt die nächsten zwei Wochen überhaupt nicht», beruhigte mich Mary. «Er ist verreist.»
«Weiß er überhaupt, daß ich seine neue Sekretärin bin?» erkundigte ich mich.
«Keine Spur», erwiderte Mary, während sie die Post öffnete und einen großen Teil der Briefe sogleich in den Papierkorb beförderte. «Du bist eine Überraschung.»
Das Telefon schellte. Mary nahm den Hörer ab und sagte in gemessen freundlichem Büroton: «Mr. Websters Büro, Miss Bard am Telefon.» Der Anrufer sagte etwas, und plötzlich hörte ich Marys keineswegs mehr gemessen freundliche Bürostimme: «Du Vollblutidiot, was bildest du dir ein, wenn du an einem Sonnabend bis halb neun Uhr nicht anrufst!»
Während sie sich mit dem Vollblutidioten unterhielt und ihm etwas später leutselig gestattete, sie in der Mittagspause zu treffen, sah ich mich um, öffnete Schubladen, betrachtete die aufgehängten Landkarten, schaute zum Fenster hinaus und musterte die Fachliteratur der riesigen Bibliothek. Als jemand den Warteraum betrat, winkte mir Mary, die sich noch immer angeregt mit dem Vollblutidioten unterhielt, zu, ich solle nachsehen, wer da sei. Es war ein dicker Mann, der einen kleinen Leinwandbeutel in der Hand schwenkte und trompetete: «Wo steckt Webster?»
«Mr. Webster ist verreist. Was wünschen Sie bitte?»
«Ich hab das erzreichste Stück Land, Mädchen, das jemals auf den Markt gekommen ist!» Und dann ging es mit erhobener Stimme weiter über Schmelzergebnisse und vorhandene Wasserquellen und Grabversuche, bis er mir schließlich den kleinen Beutel und eine Visitenkarte reichte und sagte: «Gib Webster die Erzprobe, Mädchen, sobald er seinen Fuß über die Schwelle setzt, und sag ihm, er soll mich gleich anrufen.»
Ich mußte drei weitere Telefongespräche abwarten, bevor Mary zu sprechen war. Ein Gespräch führte sie mit dem Verwalter des gegenüberliegenden imposanten Bürohauses wegen einer Flucht von Büroräumen mit guter Aussicht, das zweite Gespräch galt einem Blumengeschäft, dem Auftrag erteilt wurde, täglich frische Blumen in das neue Büro zu liefern, der dritte Anruf wurde zum Zweck der Bestellung von zwei Schreibtischen in direktorialem Format gemacht. Erst dann konnte ich den Beutel und die Visitenkarte überreichen.
«Es geht um die erzhaltigste Gegend, die je entdeckt worden sei», berichtete ich aufgeregt. «Müssen wir Webster nicht telegrafieren?»
Mary warf einen Blick auf die Visitenkarte und ließ sie daraufhin mitsamt dem Beutel in den Papierkorb fallen.
«Mary! Was tust du!» rief ich entsetzt.
«Ich tue genau das, was Mr. Webster selbst auch getan hätte», klärte Mary mich gelassen auf. «Ich erspare ihm die Mühe; und ihrem Chef möglichst viel Mühe zu ersparen, ist die erste Pflicht einer guten Privatsekretärin. Und jetzt werde ich mal versuchen, ein bißchen Vernunft in dein Vogelhirn zu trichtern. Mach dir vor allem klar, daß du zwei nicht zu überschätzende Vorzüge für diese Position mitbringst. A, dein Vater war Mineningenieur; B, du hast schon mal eine Mine gesehen, und wenn Webster etwas von einer Analyse sagt, weißt du,
Weitere Kostenlose Bücher