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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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den Abteilungschef brachte ich zur Verzweiflung, als ich den Kunden abriet, die geschmacklosen Halstücher zu kaufen. Auch ließ ich mir mehr Gegenstände als zukünftige Weihnachtsgeschenke auf die Seite legen, als ich jemals bezahlen konnte, aber ich eignete mir Erfahrung an.
    Als ich mich im Jahr darauf wieder nach einer Aushilfsstellung umsah, erklärte ich mit hoch erhobener Nase: «Erfahrung? Natürlich – zwei Jahre», und sofort wurde ich als Aushilfsverkäuferin für kunstlederne Gegenstände eingestellt.
    Die Freude, mit der meine Schwester Mary Stellungen suchte, blieb mir stets ein Rätsel, und die Furcht vor den Inquisitoren in den Vermittlungsbüros überwand ich nie. Wenn sie mich mit ihren durchdringenden Augen musterten und eine Frage nach der anderen stellten, zerbröckelte mein Selbstbewußtsein wie eine Eierschale, und mein zitterndes, zagendes Ich kam zum Vorschein, aber – so tröstete ich mich selbst, als die Herrlichkeit bei Mr. Chalmers zu Ende war – mittlerweile hatte ich Erfahrung gesammelt. Zwei Jahre hatte ich als Privatsekretärin gearbeitet, und im Auf- und Niederlassen von Rollläden und Totschlagen von Fliegen nahm ich es mit jedem auf.
    Ich machte mich abermals bei den Vermittlungsbüros auf die Runde. «Behaupte, daß du alles kannst, jede Sprache sprichst und daß keine Maschine existiert, die du nicht zu bedienen verstehst», mahnte Mary mich.
    In der ersten Agentur, die ich aufsuchte, wurde ich Zeugin, wie zwei Mädchen von der Vermittlerin weggeschickt wurden mit der Begründung, daß sie keine Erfahrung hätten. «Tut mir leid, aber Erfahrung ist unerläßlich.»
    Meine Zuversicht wuchs. Doch als ich an die Reihe kam und die Vermittlerin meine ausgefüllte Fragekarte überblickte, auf der ich alles angekreuzt hatte, was es anzukreuzen gab, das heißt: Schreibmaschine, Stenographie, Registratur, Buchhaltung sowie an Maschinen Diktaphon, Kalkulator, Adressograph, Addiermaschine und Multograph, obwohl ich die meisten Maschinen noch nie im Leben zu Gesicht bekommen hatte, schüttelte sie nur betrübt den Kopf und sagte: «Zu alt.»
    «Zu alt!» rief ich erstaunt. «Aber ich bin doch erst vierundzwanzig Jahre!»
    «Zu alt», wiederholte sie fest. «Für allgemeine Büroarbeiten ziehen die meisten Firmen Achtzehnjährige vor.»
    In der nächsten Agentur benahm ich mich vorsichtiger und kreuzte nicht mehr sämtliche auf dem Fragebogen vorkommenden Maschinen an. Man bot mir einen Posten einer Kostenberechnerin bei einem Holzhändler an. Erfreut nahm ich die kleine weiße Karte entgegen und begab mich auf den Weg, doch schon beim Fahrstuhl regte sich meine Vernunft. Die vielen Zahlen, das Multiplizieren und Dividieren mit und durch zwölf, die Berechnungen in Kubikmeter und die unzähligen Sorten und das Gedächtniskunststück, immer zu wissen, was Nummer 1 und Nummer 2 und so weiter war, jagten mir berechtigte Angst ein. Ich zerriß stillschweigend die kleine Karte und begab mich zur nächsten Agentur.
    Die Räume waren überfüllt mit Menschen, aber es herrschte ständige Bewegung. Niemand brauchte lange zu warten. «Sieht aus, als ob Belegschaft für eine neue Fabrik gesucht wird», sagte die Frau vor mir zu der Frau vor ihr. «Jeder kriegt eine Adresse», frohlockte eine andere.
    Wieder füllte ich den üblichen Fragebogen aus, und diesmal schwindelte ich langjährige Erfahrung im Reklamewesen nebst Schriftentwürfen und Umbruch dazu. Als ich an die Reihe kam, sah ich bald, wieso jedermann eine Adresse zugewiesen bekam. Die Frau am Schreibtisch entnahm einer Kartothek Karten und gab sie, wie es gerade traf, den Stellensuchenden, ohne auch nur einen Blick auf die Karten oder die Fragebogen zu werfen. Alte Damen erhielten auf diese Weise Karten, laut denen Platzanweiserinnen für ein Kino gesucht wurden. Altersgrenze: 25 Jahre. Stenotypistinnen wurden als Kellnerinnen auf den Weg geschickt und Fabrikarbeiterinnen angewiesen, sich als Kosmetikerinnen zu melden. Während sie die Karten verteilte, murmelte die sonderbare Person am Schreibtisch vor sich hin: «Klar gibt's Stellungen für alle. Klar, ich hebe sie für meine Freunde auf.» Auf der Karte, die sie mir in die Hand drückte, stand: «Chuck Garage. Reifenreparaturen. Bursche für Nachtdienst auf Parkplatz gesucht. 12 Dollar pro Woche.» Das angegebene Datum lautete: 2. Juli 1928.
    Das nächste Vermittlungsbüro, an das ich mich wandte, wurde von einer Bekannten von Mary geleitet. Ich zeigte ihr die Karte für die Chuck

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