Betty kann alles
schickten.»
«So?» machte Welton nur und sah aus wie ein Mann, der soeben eine Fliege im Kaffee entdeckt hat.
Bescheiden wandte ich mich wieder der Schreibmaschine zu. Ich hatte gerade das Datum und meinen Namen geschrieben und mit solcher Schnelligkeit auf die Tasten gehauen, daß die Buchstaben wild auf- und niedertanzten und die Tasten in Klumpen aneinander stecken blieben, als sich die Tür öffnete, eine Sekretärin auf Fußspitzen hereinkam und Welton in Verschwörerton etwas zuflüsterte von jemand ‹oben›, der ihn zu sprechen wünsche. Miteinander flüsternd verschwanden beide aus dem Raum.
Wie ein Blitz sprang ich auf, lief zum Schreibtisch, packte die ‹Finanzwelt› und begann, den Artikel abzuschreiben. In der Hitze des Gefechts irrte ich mich und kopierte eine falsche Spalte, aber es machte nichts, denn als Welton zuriickkam, schenkte er meiner Arbeit keinen Blick und informierte mich nur, daß mein Gehalt fünfundsiebzig Dollar im Monat betrüge und mein Reißverschluß offen sei.
Mary hielt mir später vor, daß ich darauf nicht: «Ihr Hosenschlitz auch!» erwidert und die Türe zugeschlagen hätte, aber ich sagte nur: «Bloß fünfundsiebzig Dollar für jemand, der Schreibmaschine schreibt, stenographiert, im Versicherungswesen Bescheid weiß und obendrein noch zeichnen und schreiben kann?»
«Die Zeiten sind schlecht», entgegnete Welton. «Wir schicken sogar Leute fort.»
«So? Da muß man ihnen zuerst die Fußketten abnehmen!» setzte ich im stillen grimmig hinzu.
Nach dem Mittagessen begleitete ich Mary zu ihrem Büro zurück, und sie sagte: «Warum versuchst du's nicht auch als Werbedame für unsere Firma? Du verdienst bestimmt mehr als fünfundsiebzig Dollar im Monat und hast´s nicht nötig, im Flüsterton zu sprechen und auf Zehenspitzen zu gehen und dir wie im Gefängnis vorzukommen.»
7
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß man sich ans Armsein erst gewöhnen muß. Plötzlich steht nicht mehr zur Diskussion, was gegessen wird, sondern, ob überhaupt gegessen wird, und wenn man Lust hat, ins Kino zu gehen, muß man sich bescheiden und daheimbleiben und mit einem Buch vorlieb nehmen. Möchte man gern eine Ausfahrt in einem eleganten Wagen machen, bleibt nur die Möglichkeit, zu Fuß im Park spazierenzugehen, und lockt einen ein Konzert, so setzt man sich statt dessen zu Hause an den Tisch und spielt Schach.
Diese Periode des Anpassens an die neuen Verhältnisse fiel Dede und Alison oder Joan und Anne nicht weiter schwer, denn sie waren noch jung und schmiegsam; Mutter machte es nichts aus, weil sie selbstlos war, und ich befand mich noch immer in dem Stadium, in dem es mich schon berauschte, viele erleuchtete Fenster nebeneinander zu sehen, aber Mary hatte kein Sitzleder. Ihre Rastlosigkeit wuchs von Tag zu Tag.
Zerst verlobte sie sich mit einem Anhänger der Christian Science , ließ sich selbstverständlich bekehren und warf alle unsere Medizinflaschen und Heilmittel zum Fenster hinaus. Der nächste Bräutigam war ein junger Jude, weshalb Mary darauf bestand, daß der Name meiner Urgroßmutter mütterlicherseits nicht Tholimer, sondern Tolheimer gewesen sei. Sie hielt uns flammende Reden gegen Rassenvorurteile, die keiner von uns jemals besessen hatte, und verbrachte die meisten Abende bei Veranstaltungen der Jüdischen Gemeinde. Dann traf sie unseren früheren Tanzlehrer auf der Straße und begann, erneut Stunden zu nehmen, nannte es aber nicht «tanzen» lernen, sondern ‹trainieren›. Eines Tages verstauchte sie sich das Knie, worauf sie für ungefähr zwei Wochen mit einem Riesenverband herumlief und das verletzte Bein wie einen Schleppkahn hinter sich herzog. Die nächste Periode setzte ein, als sie sich mit einem jungen Schauspieler verlobte, selbst der Truppe beitrat, Fechtunterricht nahm, auch daheim nur in der Bühnensprache redete und die Familie prüfendes Blickes auf verborgene Talente zu mustern begann.
Zum Glück für uns andere fiel ihr suchender Blick zuerst auf meine Schwester Dede, die bereits mit vierzehn Jahren über ihre Zukunft entschieden hatte. Wenn meine Schwester Dede etwas beschließt, so läßt sich dieser Vorgang am ehesten mit dem Gießen von Zement vergleichen. Und mit vierzehn Jahren hatte sie beschlossen, am Radio singen zu wollen und war daher alltäglich nach der Schule zum Radiogebäude gepilgert und hatte sich durch Zähigkeit Einlaß verschafft und erreicht, daß man sie singen ließ, lange bevor Marys kunstbesessene Periode
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