Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
Vom Netzwerk:
zart und (sie schob eine dramatische Pause ein) ich bin überzeugt, daß sie mit der nötigen Aufmachung, Reklame und vor dem richtigen Hintergrund (wieder folgte eine dramatische Pause) ein ganz großer Schlager ist.» Dede sah verängstigt drein. Zwischen dem Singen kleiner Liedchen im Nachmittagsprogramm am Radio und dem Auftreten als Star einer Revue von Fanchon und Marco, die großartige Bühnenprogramme im ersten Kino der Stadt veranstalteten, lag für ein sechzehnjähriges Mädchen ein gewisser Unterschied.
    Während Mary begeistert auf Bill einsprach und Proben, Gage und Probezeit erwähnte, drängten wir uns erwartungsvoll um sie am Fuß der Treppe, wo das Telefon stand. Nur Mutter blieb ruhig auf der Couch sitzen, las und rauchte und schenkte sich die vierte Tasse Kaffee ein. Sie nahm nie Notiz von Marys stets etwas Neuem geltenden Energieausbrüchen. Das heißt, Mutter nahm keine Notiz davon bis zu dem Tage, an dem sie herausfand, über Nacht Verfasserin und Regisseurin eines Radioprogrammes geworden zu sein. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.
    Als Mary schließlich den Hörer einhängte, benahm sie sich nicht mehr wie Mary, die tat, als ob sie Dedes Agent sei, sondern sie war Dedes Agent. Sie blinzelte viel, hielt die Lippen zusammengekniffen und kommandierte uns herum wie Bühnenarbeiter. Die erste Handlung in ihrer neuen Position war, daß sie erhobenen Hauptes ins Eßzimmer ging und alles vom Klavier fegte, was darauf stand, und das war allerhand. Sämtliche Noten, die wir von einer verstorbenen Klavierlehrerin geerbt hatten, lagen darauf, weiter Hüte und Handschuhe, die wir zu jener Jahreszeit gerade trugen, Alisons und Dedes Schulbücher, Gesellschaftsspiele, wie Dame und Mensch ärgere dich nicht und eine große lackierte chinesische Holzschale, in die wir in Anwandlungen von Ordnungssinn alle Rechnungen, Fadenspulen, Nagellackfläschchen, Knöpfe, Nadeln, Bleistifte und herumliegende Spielsachen meiner beiden Kinder zu tun pflegten.
    Als nächstes probierte Mary das Klavier aus, als habe sie es noch nie gesehen, und forderte Dede auf, sich oben drauf zu setzen. «Nein», antwortete Dede. «Ich will nicht.» Mary sagte im Impresario-Ton: «Es ist nicht die Frage, was du wünschst, sondern was Fanchon und Marco von dir wünschen.» Fanchon und Marco wären sicher erstaunt gewesen zu vernehmen, daß sie etwas von Dede wünschten. «Und jetzt klettere auf das Klavier und setz dich oben hin!» kommandierte Mary mit blitzenden Augen und abwartend verschränkten Armen.
    Dedes graue Augen wurden dunkel vor Entschlossenheit. Mit ihrer klaren, dunklen Stimme erklärte sie: «Ich denke nicht daran, mich aufs Klavier zu setzen. Ich kann Helen Morgan nicht ausstehen, und außerdem setzt sie sich bei ihren Liedern nicht aufs Klavier, sondern auf einen Flügel.»
    «Mein liebes Kind, die Machart des Instruments, auf das sie sich setzt, war nicht ausschlaggebend für Helen Morgans Erfolg.»
    «Eine Kletterpartie auf die obere Kante eines hohen Klaviers würde bestimmt von jedem Gesangsvortrag sehr ablenken», warf Mutter ein.
    Mary blickte unsicher zu meiner Mutter hinüber und ließ dann Helen Morgan ohne weitere Förmlichkeit fallen. «Auf welche Art willst du denn singen?» erkundigte sie sich schließlich bei Dede.
    «So wie Bessie Smith.»
    «Aber Dede, du bist so ein zartes kleines Geschöpf, so sanft und weiblich und rührend.» Einen Augenblick hatte ich Mary im Verdacht, französisch zu reden, so weiblich und sanft wurde plötzlich ihre Sprache, aber es war nicht französisch; sie hatte sich der Situation entsprechend nur darauf verlegt, mit südlichem Akzent zu reden. Sie setzte sich auf die Kante des Eßtisches, schlug die Beine übereinander und sang mit betont südlichem Akzent und einer Menge unterstreichender Armbewegungen «Judy».
«Wenn du eine Stimme hörst, die dich betört,
    das ist Judy, meine Judy!»
    Der Text war falsch, und die Melodie stimmte nicht, aber «Judy» war eines von Dedes Lieblingsliedern, und daher gab sie nach. Sie zeigte sich einverstanden, «Tee für zwei» anstatt den «Louisiana Blues» zu singen, und sie versprach, es in ihrer richtigen Stimmlage und nicht in ihrem geliebten heiseren, dunklen Geröhre einzustudieren.
    Sie begannen noch am gleichen Abend zu üben und übten auch die zehn nächsten Abende, bis zum Tage von Dedes Vorsingen. Bei jeder Probe wurde Mary energischer und Dede nachgiebiger, so daß sie zum Schluß zwei Oktaven über ihrer normalen

Weitere Kostenlose Bücher