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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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anhub.
    Dede pflegte mich in Mr. Websters oder Mr. Chalmers' Büro anzurufen und mir mitzuteilen, wann und was sie im Radio singen würde, und dann raste ich zur angegebenen Stunde in den Zigarrenladen hinunter, wo ein Radioapparat stand, hörte begeistert zu und erzählte jedem, ob er es hören wollte oder nicht, daß dies meine kleine Schwester sei, die da sang. Das heißt, sie war von den Schlagern jener Zeit beeinflußt und betätigte sich mehr in einer Art Sprechgesang. Sie hatte eine tiefe, heisere Stimme und sang den «Bergspitzen Blues» und den «Louisiana Blues» und den «St. Louis Blues». Daheim besaß sie eine enorme Sammlung aller möglichen Schallplatten; es gab keinen Musiker in irgendeiner einigermaßen bekannten Kapelle, über den sie nicht Bescheid gewußt hätte, und das Radio lief bei uns Tag und Nacht auf Lautstärke hundert.
    Eines Abends nach Tisch saß Dede wie üblich vor dem Radio, horchte auf die ohrenbetäubende Jazzmusik und sang dazu, was wir allerdings nur am Bewegen ihrer Lippen feststellen konnten. Mary, die «Gott sei Dank mal einen Abend frei» hatte von ihrer Theaterspielerei, las Spenglers «Untergang des Abendlandes », und wir anderen spielten Dame, als Mary plötzlich die Hand hob, uns, die wir sowieso kein Wort sprachen, Schweigen gebot und Dede zurief: «Sing die letzte Note nochmals!» Anscheinend gehorchte Dede dem Befehl, zu hören war jedoch nichts, dazu brüllte das Radio viel zu laut.
    Mary schob ihr «schrecklich wichtiges» dickleibiges, langweiliges Buch beiseite und erklärte: «Ihr seid euch anscheinend nicht im klaren darüber, daß Dede eine fabelhafte Stimme hat. Sie singt absolut tonrein, und wieso wir hier herumhocken, anstatt ihr zu helfen, weiß ich wirklich nicht.» Sie stand auf, drehte das Radio ab, Dede drehte es wieder an, Mary drehte es wieder ab, Dede drehte es wieder an, Mary drehte es wieder ab und hielt die Hand schützend über dem Knopf, während sie sagte: «Hör zu, du Dickschädel. Liegt dir etwas daran, in Fanchon und Marcos Bühnenschau aufzutreten?» «Ich singe im Radio», sagte Dede ungerührt. Mary zuckte überlegen die Achseln und tat, als sei dies nicht wichtig genug, auch nur erwähnt zu werden. «Radio! Du lieber Himmel. Eine Spielerei, nichts weiter. Dede, ich habe einen Bekannten, der mit dem Agenten befreundet ist, der die Leute für Fanchon und Marcos Bühnenschau engagiert, und ich glaube, ich könnte dich dort unterbringen. Sing mir mal etwas vor.»
    Sie setzte sich ans Klavier und begann ein typisch Mary Bardsches Durcheinander der verschiedensten ineinander vermischten Schlager zu spielen. Dede schob energisch Marys Hände von den Tasten und erklärte: «Ich singe ohne Begleitung.» Sie sang den «Louisiana Blues» und imitierte Bessie Smith. Mary kniff die Lippen zusammen wie ein Filmregisseur und sagte: «Sehr gut! Sehr gut!» Aber weil sie doch jetzt Dedes Agent war, sprach sie es «Serr gutt!» aus.
    Bewunderungswürdig an Mary war ihre Wandlungsfähigkeit Keine Viertelstunde vor der Entdeckung Dedes als Talent hatte sie Mutter einen längeren Vortrag darüber gehalten, wie unverantwortlich es von ihr als dem Familienoberhaupt, dem Führer des Stammes sozusagen, sei, ein so herrliches Buch wie «Der Untergang des Abendlandes» ungeöffnet herumliegen zu lassen und statt dessen die Unterhaltungsbeilage aus der Sonntagszeitung zu lesen. «Am Abend bin ich müde», hatte Mutter erwidert, «und denke gar nicht daran, mich von dem Trübsinn dieses Narren Spengler zu Tode langweilen zu lassen.» Mary hatte tief geseufzt, den verachteten Spengler ergriffen und gesagt: «Ein Glück, daß wenigstens einer in dieser Familie gewillt ist, das erforderliche geistige Niveau zu halten.»
    Nun lautete die der versammelten Familie vorgelegte Frage nicht mehr: «Sollen wir Mutter erlauben, Spengler zu ignorieren und die kulturellen Belange zu vernachlässigen?», sondern es stand zur Diskussion: «Wer unter den Anwesenden gehört eigentlich auf die Bühne, und wieso befindet er sich nicht längst dort?»
    Kaum hatte Dede ihren Vortrag beendet, raste Mary zum Telefon und rief jemanden namens Bill an. «Meine Schwester ist phantastisch, Bill», verkündete sie. «Phantastisch. Toll. Sie singt genau wie Helen Morgan.» Erstaunt hörten wir zu, denn Dede sang absolut nicht wie Helen Morgan, die sie nicht leiden konnte und nie zu kopieren versucht hatte. «Ihre Stimme ist klar und rein und sehr warm, und sie selbst ist dunkelhaarig, klein und

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