Betty kann alles
wurde sofort von den rosa Taftwolken des Kleides so eingehüllt, daß nur noch der Kopf herausschaute. Sie begann zu singen, wie Mary es ihr einstudiert hatte. Ihr Stimmchen klang dünn und unwirklich, wie vom Wind hergeweht, und die Begleitung durch «Billy, mein Engel» war das lauteste Gehämmer, das ich, abgesehen von Sousas Negerkapelle, jemals gehört hatte.
Sobald es vorüber war – und es schien Stunden zu dauern – schlichen wir uns weg. Dede weinte, und unser aller Wut auf Mary war nicht gelinde. Plötzlich stellte sich Mary vor Mutter in Positur und sagte: «Das kommt davon, wenn man so viele Kinder hat, Sydney. Kinder zu bekommen ist eine Form der Selbstsucht wie das Sammeln von Juwelen oder das Züchten von Orchideen. Zu deiner Zeit war es modern. Man schaffte sich einfach Kinder an. Aber hast du dir jemals darüber den Kopf zerbrochen, wie du sie erziehen würdest? Hast du jemals darüber nachgedacht, daß eines deiner Kinder ein Genie sein könnte, das geschult werden muß? Und wie du das Geld für diese musikalische Schulung aufbringen würdest?»
Dedes Tränen waren versiegt, und wir hörten alle gespannt Marys Vortrag zu, denn wenn sie so anhub, kam meist etwas Neues, Fesselndes dabei heraus. Wir hörten sie sagen: «Soll wirklich die ganze Last, dem in unserer Familie in hohem Maße vorhandenen Talent Sorge zu tragen, allein auf meinen Schultern ruhen?»
«Gehen wir ein Bier trinken», erwiderte Mutter.
8
«Wie stellst du es an, bei einer Firma einen Auftrag für einen Werbebrief zu bekommen?» erkundigte ich mich bei Mary.
«Nichts einfacher als das», versetzte sie. «Du strengst dein Hirn an, bis dir etwas einfällt, und dann überzeugst du jemanden, dem noch nie etwas eingefallen ist, daß es seine Idee war, und preist sie als außerordentlich gut und blendend, so ungewöhnlich und ein solches Zeichen überragender Intelligenz, daß es ein Jammer wäre, sie nicht sofort vervielfältigen und an eine lange Reihe von Leuten schicken zu lassen. Und die Namen der Leute holst du dir von irgendeiner Vereinigung mit möglichst vielen Mitgliedern, zum Beispiel von den Pfadfindern von Amerika oder dem Textilarbeiterverband.»
«Hört sich wirklich einfach an», gab ich zu. «Aber woher weißt du, was für eine Art von Idee die Firmen gerade wollen?»
«Erstens einmal ist eine jede Idee besser als gar keine, und zweitens sind die Firmen heutzutage einzig und allein daran interessiert, den Umsatz zu heben. Eine Idee, die dazu beiträgt, mehr Butter, mehr Schuhe, mehr Klaviere, mehr Dauerwellen oder Schokoladenstengel zu verkaufen, ist das, was sie wollen. Nimm zum Beispiel mal die Standard Oil Company…»
Was ich an Mary auszusetzen habe, ist, daß sie sich stets auf die Standard Oil Company oder das Warenhaus Sears Roebuck oder irgendeine andere Riesenfirma berief, wenn sie mir einen Beweis für die Richtigkeit ihrer Ideen oder meiner Fähigkeit, sie in die Tat umzusetzen, liefern wollte. Die ganze Reklamewerberei lag mir nicht. Ich sehnte mich nach einer einfachen Stellung mit festem Gehalt und unproblematischen Pflichten wie Korrespondenz ablegen, sehr langsam Briefe schreiben und vielleicht noch Pförtnerdienste versehen, ein Pflichtenkreis, der meinen beschränkten Fähigkeiten entsprach. Doch Mary wollte von solch bescheidenen Wunsch träumen nichts wissen. Ihr schwebte für mich jede Stellung bis zu und inbegriffen der des Präsidenten der Vereinigten Staaten vor.
Zum Reisenden muß man geboren sein. Ich erinnere mich an einen Versicherungsreisenden, der mir einmal ohne jedes Schamgefühl erzählte, wie er den Abteilungsleiter eines Warenhauses noch während der Mittagspause verfolgte und ihm aufzuzählen begann, welche Herrlichkeiten seiner im Alter von 65 Jahren harrten, und erstaunt, aber keineswegs beleidigt war, als der geplagte Abteilungsleiter ihn packte und mit wuchtigem Schwung mitten in die Herrenunterwäsche beförderte. «War wahrscheinlich mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden», sagte er, «drum wartete ich bis zum nächsten Tag, bevor ich ihn wieder anpirschte.»
Wenn man zu den Leuten gehört, die sich noch in vorgeschrittenem Alter daran erinnern, wie die Lehrerin einen im zweiten Schuljahr strafend bei den Ohren nahm, weil man ein Puppenkleid, das die Mutter daheim genäht hatte, als Eigenwerk ausgab; wenn man zu den Leuten gehört, die geblümte braune Kleider kaufen, die zu kurz in der Taille sind und einem überhaupt nicht stehen, nur weil man dem energischen Ton
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