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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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der Verkäuferin nicht zu widersprechen wagt, dann kann man mit Gewißheit annehmen, daß man das Zeug dazu hat, eine der schlechtesten Reisenden der ganzen Welt zu werden. Die unüberbietbar schlechteste war bestimmt ich.
    Die nächsten drei Tage begleitete ich Mary auf ihren Wegen in die verschiedensten Büros, und alles, was ich lernte, war eine Reihe grundsätzlicher Unterschiede zwischen meiner Schwester und mir und die Adressen von vierzehn verschiedenen Kaffeestuben, wo man eine Tasse Kaffee nebst Butterhörnchen für zehn Cents bekommen konnte. Mary schien überall Aufträge zu bekommen, dabei benützte sie bei jeder Firma die gleiche Methode, ob es sich nun um Schiffahrtsgesellschaften, Bäckereien, Garagen, Warenhäuser oder Leihbibliotheken handelte.
    Ihre Methode war, an jeder einzelnen Person in jedem einzelnen Betrieb, den sie besuchte, brennend interessiert zu sein. Sie wußte genau Bescheid über das Krankheitsbild der verschiedenen vorhandenen Tumore, Herzfehler, Fußballen und Entzündungsherde und kannte die Geschichte aller leidenden Verwandten. Sie wußte Bescheid darüber, wer schlecht behandelt wurde und wie sehr und durch wen; sie wußte, wer sich in den Ferien befand und wer um seinen Urlaub geprellt worden war; sie wußte, wer verliebt war und wer sich einsam fühlte.
    Bei einem unserer ersten gemeinsamen Besuche vernahmen wir von einer bedrückt aussehenden Stenotypistin, daß ihre Mutter einen Tumor habe. «Ach, machen Sie sich keine Sorgen», erklärte Mary sofort. «Ich hatte zwei riesige Tumore, habe sie mir beide zusammen wegoperieren lassen und fühle mich jetzt wohler denn je.»
    Ich warf Mary, die noch keine Stunde ihres Lebens im Spital zugebracht hatte, einen erstaunten Blick zu. Die Stenotypistin erkundigte sich interessiert: «Wo hatten Sie Tumore? Und wieviel haben sie gewogen?»
    «Einer war hier», Mary deutete auf die Gegend des Blinddarms, «und der andere hier.» Ihre Hand wanderte zum Rücken. «Sie wogen pro Stück acht Pfund, und die Operation dauerte nur knapp zwanzig Minuten.»
    Mary, die die personifizierte Gesundheit und Lebendigkeit war, schilderte Einzelheiten und redete mit Engelszungen auf die Stenotypistin ein, die Wort für Wort wie ein Labsal schlürfte und sich zu straffen und Form anzunehmen schien. Es war, als ob man eine Stoffpuppe ausstopfte. Als wir uns endlich verabschiedeten, versicherte uns die Stenotypistin, sie werde gleich ihre Mutter anrufen und ihr von Mary erzählen.
    Draußen blieb ich stehen und sagte: «Du weißt genau, Mary, daß seit Generationen kein Mitglied unserer Familie einen Tumor gehabt hat.»
    «Wem tut's weh?» erwiderte Mary. «Evelynes Mutter hat einen, und es ist traurig, als einziger einen Tumor zu haben. Und überhaupt, kannst du dir etwas Trübseligeres vorstellen als das Leben dieser armen Evelyne? Sie arbeitet tagaus, tagein in diesem stickigen, dunklen Büro für den widerlichen alten Mr. Felton, der eine herrschsüchtige Freundin und eine zeternde Frau hat, die über die Freundin Bescheid weiß, und dessen einzige Freude im Leben es ist, seine schlechte Laune an der hilflosen Evelyne auszulassen.»
    «Woher weißt du denn von der herrschsüchtigen Freundin und der zeternden Frau?» erkundigte ich mich erstaunt.
    «Die Leute erzählen es mir. Ich hab so ein Gesicht, daß mir alle Leute ihr Herz ausschütten. Ich weiß selbst nicht, wieso.» Ich wußte es. Mary zeigte mehr Interesse an den Problemen der Leute als die Leute selbst.
    Die nächste Firma, die wir mit unserem Besuch beehrten, hatte mit dem Vertrieb von Autozubehörteilen zu tun. Mary wandte sich an einen dicken Mann namens Charlie. Charlie führte uns in sein Büro, schloß die Türe, sah unter dem Schreibtisch und im Papierkorb nach verborgenen Spionen nach und teilte uns dann mit Grabesstimme mit, daß ihm gekündigt worden sei.
    «Das wundert mich gar nicht», erklärte Mary prompt. «Wieso?» fuhr Charlie beleidigt auf. «Sie sind viel zu tüchtig», fuhr Mary ohne zu zögern fort. «Sie sind tüchtiger als alle anderen hier, Charlie, und am ersten Tag, den Sie hier waren, habe ich mir schon gedacht, daß Sie nicht lange bleiben würden.»
    Charlie, der offensichtlich etwas blöd, langsam und faul war, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, kräuselte seine fetten Lippen und meinte überlegen: «Sie haben recht, Mary. Sooft ich eine gute Idee habe, schnappt ein anderer sie mir weg. Zum Beispiel das Zirkularschreiben über die Entfrosteranlage, wissen Sie?

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