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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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oder Kartoffelsalat transportieren ließen, ohne die Würde der Träger zu beeinträchtigen. Aber Buchhalter und Stenotypistinnen stellten im allgemeinen ihren Kaffee ab und sahen sich dann ängstlich um, bevor sie aus einer Manteltasche oder einer Tüte mit dem Aufdruck eines Warenhauses ihre Brote hervorholten. Sie benahmen sich, als hätten sie Angst, beim Opiumschmuggel ertappt zu werden.
    Ich muß ehrlich zugeben, daß mich auch solch falscher Stolz plagte, und ich fürchtete die Tage, an denen Mary an der Reihe war, unsere Brote zuzubereiten. Sie stopfte sie in das erste beste Papier, das ihr in die Hände kam, ob es nun eine befleckte alte Tüte war oder gar ein Stück Zeitungspapier.
    Mary gehörte zu den glücklichen Naturen, die ohne jeden Anflug von falschem Stolz geboren sind und daher nicht begreifen, was weniger unbelastete Leute durchmachen. Sie lachte mich aus, als ich mir bei einem Chinesen eine Strohtasche kaufte, um darin meine Brote zu transportieren. Die Strohtasche quetschte alles flach, und was man hineinsteckte, nahm den Geschmack alter Mottenkugeln an, aber zumindest erlöste sie mich davon, Marys unmögliche Brotpakete tragen zu müssen. «Was ist schon dabei, wenn man sich seine Brote mitnimmt?» sagte Mary lachend und betrat die elegantesten Geschäfte, in der Hand die fettige Tüte mit den Broten schwingend.
    Ich zwang mich den Rest der Woche dazu, weitere Geschäfte und Firmen mit meinen Briefentwürfen abzuklappem, aber am Ende von fünf Tagen gab ich Mary zu bedenken, daß wir besser der Wahrheit ins Gesicht sahen und uns eingestanden, daß es mir nicht gegeben war, jemandem etwas zu verkaufen.
    «Ich bin nun mal keine Reisende», sagte ich. «Bevor ich eine Türe öffne, komme ich schon beinahe um vor Angst, und in den meisten Fällen habe ich keine Ahnung, was ich den Leuten eigentlich aufschwatzen soll. Am Freitag fragte mich ein Mädchen im Vorzimmer einer Firma, was ich wolle, und ich sagte: ‹Ich weiß es nicht.› Sie war überzeugt, eine Verrückte vor sich zu haben.» Mary wollte meine Einwände erst nicht gelten lassen, aber nach einem Weilchen gab sie zu, daß ich es nie lernen würde, so aufzutreten, als seien meine geschäftlichen Ideen besser als die der Standard Oil.
    «Für dich ist wahrscheinlich eine Bürostelle das richtige», meinte sie endlich. «Aber versuche um Himmels willen nicht, selbst etwas zu finden. Du bist imstande und zahlst noch dafür, daß du vierundzwanzig Stunden täglich arbeiten darfst. Überlasse es nur mir.»
    Dies tat ich auch, und im Verlaufe der nächsten sechs Monate sammelte ich Erfahrungen auf den verschiedensten Gebieten und konnte in Zukunft auf den Formularen der Vermittlungsagenturen mehr oder weniger alles ankreuzen, was an Spezialgebieten aufgezählt wurde.
    «Ein Glück, daß du so dünn bist», sagte meine Schwester, nachdem sie mir Mitteilung von einer neuen Stellung gemacht hatte. Ich war so froh, Arbeit gefunden zu haben, daß ich bereits einen Arm im Mantel hatte, bevor mir zum Bewußtsein kam, daß diese Bemerkung eigentlich etwas sonderbar war.
    «Es ist doch eine Stenotypistinnenstelle?» erkundigte ich mich argwöhnisch.
    «Teilweise», erwiderte Mary. «Es ist eine Art Kombination von Buchhalterin und Mannequin für Pelzmäntel. Darum ist es so günstig, daß du groß und dünn bist.»
    «Noch günstiger wäre es, wenn ich einen Schimmer von Buchhaltung hätte», versetzte ich grimmig.
    «Sei kein Frosch, Betsy. Wir befinden uns in einer Wirtschaftskrise, und du kennst meine Einstellung: Jeder kann alles.»
    «Wo muß ich hingehen, und wann soll ich dort sein?» fragte ich ergeben.
    «Ich habe Mr. Handel gesagt, du würdest am Nachmittag kommen», erwiderte Mary und kritzelte die Adresse meines zukünftigen Chefs auf ein Stückchen Papier. Ich schlüpfte auch mit dem zweiten Arm in meinen Wollmantel und machte mich auf den Weg in den Teil der Stadt, wo die Pelzhändler und die Kleiderindustrie ihre Werkstätten hatten.
    Je näher ich dem Viertel kam, desto mehr bedrückt aussehende und ziellos herumlaufende Leute bevölkerten die engen Straßen. Es hatte den ganzen Morgen geregnet, und es kam mir vor, als herrsche immer schlechtes Wetter, wenn ich auf Stellensuche ging. Der Himmel zwischen den hohen Gebäuden war grau und verhangen, und die Welt sah kalt und unfreundlich aus.
    Die Adresse, die Mary mir angegeben hatte, befand sich in der schlechtesten Gegend der Stadt, jenseits von Skid Road, wo die arbeitslosen

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