Betty kann alles
er, mir mein Gehalt zuzuschicken, was er bis auf den heutigen Tag nicht getan hat.
Mary war ehrlich genug zuzugeben, daß sie den «entzückenden Anwalt» gar nicht gekannt und von der Stellung durch einen Fahrstuhlführer im Nebenhaus erfahren hatte.
Meinen nächsten Posten trat ich bei einer Kreditvermittlung an, wo ich meine Tage damit verbrachte, langweilige Berichte zu schreiben, aus denen hervorging, daß mit Ausnahme der First National Bank niemand in Seattle kreditfähig war. Eines Nachmittags benützte ich die Abwesenheit meines Chefs dazu, einmal in der Kartothek nachzuschlagen, was über die Kreditfähigkeit unserer Familie vermerkt stand. Wir nahmen beinahe eine ganze Schublade ein, und laut den Auskünften, die da gegeben wurden, hätte die Kreditvermittlung uns nicht nur nie für den Empfang eines Kredits empfohlen, sondern auch noch abgeraten, uns bar bezahlen zu lassen. Da die Firma jedoch prinzipiell über alle Leute schlecht dachte, berührte mich meine Entdeckung wenig.
Die folgende Arbeit, die Mary für mich aufspürte, war das Stenografieren von Briefen unten am Dock für einen Fischer, der eine Erbschaftsangelegenheit zu erledigen hatte, in die Hunderte von Verwandten verwickelt waren. Alle Leute, an die ich schreiben mußte, hießen Escvotrizwitz und Trckvotisztz und Krje und lebten in Orten wie Brk, Pec, Plav oder Klujk. Meine an und für sich kärglichen stenographischen Kenntnisse versagten völlig unter der Flut serbo-kroatischer Namen und Redewendungen, die Mr. Ljubovija über mich ergehen ließ. Er flocht in seinen Sprachen-Mischmasch ein paar Kraftausdrücke ein und war der Überzeugung, das sei bestes Englisch. Endlich schlug ich ihm vor, mir doch einfach zu sagen, was er den Verwandten mitgeteilt haben wollte und mir die Orte und Namen zu buchstabieren, und ich würde dann die Briefe aufsetzen. Warum er sich so darauf versteifte, englisch zu schreiben, wo kein einziges Mitglied seiner Familie – und er bildete hierbei keine Ausnahme – diese Sprache verstand, begriff ich nicht. Aber er beharrte darauf, und ich nehme an, für ihn war englisch schreiben zu können gleichbedeutend mit dem Beweis, in der neuen Welt Erfolg gehabt zu haben. Er war ein sehr netter Mann, und mir gefiel es gut, in der Sonne am Wasser zu sitzen, dem Schreikonzert der Möwen zuzuhören, den Tang- und Teergeruch einzuatmen und die Fischer an ihren weit gespannten Netzen flicken zu sehen.
Nach Mr. Ljubovija kam ein Schreibbüro an die Reihe. Die Leiterin des Büros war eine derbe Person, die breite Lackledergürtel um ihre dicke Taille trug und die unappetitliche Gewohnheit hatte, an ihren Achselhöhlen zu riechen, dann nach dem Fläschchen mit dem Anti-Schweißmittel zu greifen und die Flüssigkeit via ihrem Kleiderausschnitt anzubringen, und dies alles, während sie mit ihren Kunden verhandelte.
Als ich das erstemal Zeugin dieses gewohnheitsmäßigen Vorgangs wurde, sprach Mrs. Pundril gerade mit einem Holzhändler aus Minnesota. Er wollte einen langen Bericht abgeschrieben haben und erklärte eben die Einzelheiten, als Mrs. Pundril an ihrer rechten Achselhöhle schnüffelte, nach dem Fläschchen griff, den Deckel abschraubte, etwas von der Flüssigkeit auf ihren Zeigefinger tröpfeln ließ und darauf – immer dem Kunden zuhörend – mittels geschickten Manövrierens und obwohl ihr Kleid keineswegs tief ausgeschnitten war, es fertigbrachte, das Mittel in ihre Achselhöhle zu reiben. Der Holzhändler wurde rot und röter im Gesicht. Ich mußte mir mein Taschentuch in den Mund stopfen, um nicht laut herauszuprusten, und nur Mrs. Pundril zeigte sich über die Situation erhaben, weil es für sie eine so alltägliche Manipulation war wie das Füllen ihrer Füllfeder.
Nach einer Woche entließ mich Mrs. Pundril mit der Bemerkung, daß ich zu langsam schriebe und auch zu viele Fehler mache. Ich konnte ihr beim besten Willen keinen Vorwurf daraus machen, daß sie es vorzog, auf meine Dienste zu verzichten, aber mein Selbstbewußtsein wurde nicht gerade gehoben. Die folgenden Wochen schrieb ich Rechnungen für ein Blumengeschäft, einen Zahnarzt und ein Laboratorium, und dann fand Mary eine Stellung für mich bei einem Gangster.
Er hieß Murray Adams, hatte seine Büros in einem Gebäude, das die sonderbarsten Geschäftszweige beherbergte wie Perlentaschenflicker, Traumdeuterinnen und Hühneraugenoperateure, und bis zum heutigen Tag weiß ich im Grunde nicht, was Mr. Adams eigentlich mit seinem Unternehmen
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