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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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genug, um ihre Wände damit zu schmücken.
    Als Marilee hinter dem grünen Vorhang wieder auftauchte, hatte sie ihren glänzenden schwarzen Regenmantel und ihre glänzende Regenkappe abgelegt und zeigte sich in einem feingestreiften schwarzen Kostüm, hochgeschlossener weißer Bluse, Lacklederschuhen, auffallenden Perlenohrringen und grellen Seidenstrümpfen. Sie schaltete das Licht über ihrem Schreibtisch ein, überflog das Kundenbuch, zwinkerte mir zu und sagte: «Prachtvolles Wetter für Enten. Wollen mal sehen, was es heute gibt. Die nächste Kundschaft kommt erst um halb zehn Uhr. Fein, da können wir gleich mal anfangen.»
    Sie führte mich hinter den Wandschirm, zeigte mir, wo ich Hut und Mantel aufhängen konnte, händigte mir dann eine schmutzige grüne Ärmelschürze und einen Stoß Fotografien aus und meinte: «Ihre Schwester hat gesagt, Sie hätten mächtig Erfahrung, da laß ich Sie gleich mit den Bestellungen anfangen. Die Aufnahmen mach ich alle selbst, aber zum Entwickeln, Retouchieren und Abziehen geb ich sie weg. Oben in der Ecke vom Bild habe ich immer die Farbe der Augen und Haare und so weiter vermerkt. Was Sie an Fotos fertig haben, stellen Sie hier auf dieses Regal zum Trocknen. Da ist Watte, da sind die Farben und da ist das Zeug, um die Farben zu dämpfen. Aber benützen Sie nicht zu viel davon. Ich hab gern starke Farben. So, jetzt muß ich mich für die erste Kundschaft bereitmachen. Wenn Sie was brauchen oder fragen wollen, rufen Sie einfach.»
    Ich nahm das erste Bild auf. Eine Brünette mit faden Augen, einer zu fleischigen Nase und einem dünnlippigen Mund blickte mich starr an. Ich überflog die Angaben auf dem Zettel in der oberen Ecke. «Augen blau, Haar schwarz, Haut hell.» Ich gab dem Mädchen türkisfarbene Augen, schimmernde rosa Haut, einen zartroten Mund, bläuliche Reflexe auf schwarzem Haar und milderte die fleischige Nase mit einem leicht hingetupften Schatten. Die Arbeit nahm geraume Zeit in Anspruch, aber die Brünette sah viel hübscher und lange nicht mehr so grimmig aus, als ich fertig war.
    Ich war gerade mit den Lippen beschäftigt, als die Türe zum Studio aufging und ich die Kundschaft sagen hörte: «Bloß den Kopf, nich die Figur. Bloß den Kopf.»
    «Vier Dollar im voraus zu zahlen, bitte», erwiderte Marilee geschäftsmäßig. «Dafür kriegen Sie vier Aufnahmen und eine Vergrößerung 13x18 ohne Passepartout. Koloriert kostet's zwei Dollar extra. Wollen Sie sich noch ein bißchen zurechtmachen, bevor ich Sie aufnehme?»
    «Nein», entgegnete die Kundschaft. «Bloß den Kopf. Nich die Figur. Meine Mutter will wissen, wie ich ausseh, bevor sie stirbt.»
    «Geht in Ordnung», sagte Marilee. «Nun setzen Sie sich mal dahin. Sehen Sie hierher. Sehen Sie mich an. Jetzt sehen Sie auf meine Hand. Achtung – schon gemacht. Nächsten Mittwoch können Sie die Rohabzüge sehen.» Die Türe schloß sich hinter der Kundschaft, und ich sah ‹Bloß-den-Kopf› hügelaufwärts stapfen.
    Mein nächstes Bild stellte laut Angaben ebenfalls eine Brünette dar, doch diesmal mit braunen Augen. Ich verlieh ihr olivenfarbene Haut, hellrote Lippen und orange Lichtreflexe im dunkelbraunen Haar.
    Marilees nächste Kundin war ein dickes Mädchen mit roten Backen, das sich schüchtern erkundigte, ob es auf der Aufnahme nicht dünner aussehen könne. «Die Kamera lügt nicht», erklärte Marilee herzlos. «Vier Dollar im voraus. Wollen Sie's koloriert haben und in was für einem Passepartout?»
    Ich lugte verstohlen hinter dem Schirm hervor. Das dicke Mädchen saß verkrampft auf der Bank, auf der Marilee ihre Opfer zu plazieren pflegte, und sah drein wie jemand, dem in den nächsten Minuten die Mandeln ohne Narkose herausgeschnitten werden sollen. Marilee kam unter dem großen schwarzen Tuch hervor. «Und jetzt mal schön lachen, so ist's recht. Und hier auf meine Hand sehen. Wo ist das Vögelchen? Hier ist's, pieps… pieps.»
    Marilee stellte ihre Lampen so ein, daß die vielen hundert Watt das verzerrte Gesicht des dicken Mädchens unbarmherzig beleuchteten und es von einem rotwangigen runden Apfel in einen schwabbligen Pudding verwandelten. In Abwehr gegen das grelle Licht zogen sich die Augen der Dicken zu kleinen Pünktchen zusammen. Aber Marilee war noch nicht zufrieden. Sie trat an ihr Opfer heran, packte es am Kinn und am Hinterkopf und zwängte es in eine schräge, halb zurückgelegte, schrecklich unnatürliche Pose.
    «Jetzt haben Sie wenigstens einen Hals», stellte sie

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