Betty kann alles
sei denn, um die Russen in Verwirrung zu stürzen.
Meine ersten Erfahrungen mit unbezahlten Rechnungen waren milder Natur und in den meisten Fällen von mir auch nur als Nebenperson miterlebt, und doch erzeugten sie in mir die Überzeugung, daß Rechnungen peinliche Dinge waren, die man besser geheimhielt.
Als mein Bruder Cleve zwölf Jahre alt war, kam er eines schönen Tages zu dem Entschluß, daß seine einzige Möglichkeit, in dieser Welt weiblicher Wesen (Mutter, Großmutter, Schwestern, Katzen, Hunde, Kühe, sogar die Taube und der Kanarienvogel bildeten keine Ausnahme) voranzukommen, darin bestand, auf eine Annonce in der Zeitung zu antworten und ohne Anzahlung und mit langer Zeit zum Abzahlen der Ausbildungskosten ein glänzend entlohnter höherer Angestellter zu werden.
Zu seinem großen Kummer erhielt er auf seinen eher ausweichend ausgefüllten Fragebogen prompt die versprochene Broschüre, aber es war keine Zauberformel oder kurzgefaßte und leicht verständliche Anleitung zur Entwicklung überragender Geistesfähigkeiten, nichts, was ihm ermöglicht hätte, sich über Nacht aus dem Hustenbonbons lutschenden, unordentlichen Jungen in einen tadellos gekleideten, neiderweckenden tüchtigen jungen Mann zu verwandeln. Was kam, war ein Buch mit der Aufschrift: «Erste Schritte in der Buchhaltung», und zu Cleves Entsetzen war es angefüllt mit Denkaufgaben, dieser meist gehaßten Beigabe der Algebra. Cleve besann sich nicht lange. Nach einem ersten flüchtigen Durchblättern der Broschüre gab er den Gedanken, über Nacht ein hochbezahlter Angestellter zu werden, auf, schob das Buch unter sein Bett und kehrte reumütig zu seiner Freizeitbeschäftigung als getreuer Begleiter und unbezahlter Gehilfe des Autobuschauffeurs der Vorortlinie zurück.
Die «Erschließer großer Zukunftsmöglichkeiten» waren nicht so wankelmütig. Sie hatten sich in den Kopf gesetzt, aus Mr. Cleve Bard einen gutbezahlten, tüchtigen höheren Angestellten zu machen, und an diesem Vorhaben hielten sie fest. Alle paar Wochen kamen Broschüren, Hefte, vervielfältigte Briefe über Charakterbildung und Unternehmungsgeist und anspornende Aufrufe, bei der Stange zu bleiben und mutig voranzuschreiten auf dem Wege zur Karriere.
Cleve lauerte dem Postboten auf, nahm die an ihn gerichtete Post entgegen und ließ weiterhin alle Zusendungen der «Erschließer großer Zukunftsmöglichkeiten» unter seinem Bett verschwinden.
Eines Tages hörte der Zufluß des Lehrmaterials auf, und es setzte die Flut von Briefen ein.
«Mr. Bard!» rief der Präsident der «Erschließer» in vorwurfsvollem Tone, und man vermeinte, seinen anklagend erhobenen Zeigefinger quer über den Briefbogen deuten zu sehen. «Haben Sie kein Ehrgefühl? Sind Sie sich nicht im klaren darüber, daß es Diebstahl ist, Dinge zu kaufen und dann nicht zu bezahlen?»
«Mr. Bard! Betrug ist ein schreckliches Wort. Ehrlichkeit und ein guter Kredit sind zwei unerläßliche Dinge für einen erfolgreichen höheren Angestellten.»
«Mr. Bard! Falls irgendwelche Gründe vorliegen, die Sie am Zahlen hindern, so teilen Sie uns diese mit. Wir kommen Ihnen gern entgegen und räumen Ihnen auf Wunsch Zahlungserleichterungen ein.»
«Mr. Bard! Wir ersuchen um umgehende Bezahlung.»
«Mr. Bard! Wenn wir nicht binnen zehn Tagen im Besitz der gesamten uns geschuldeten Summe sind, übergeben wir die Angelegenheit unseren Anwälten.»
Mr. Bard wußte sich in seiner Bedrängnis keinen Rat mehr und wandte sich hilfesuchend an Gammy, die ihr ganzes Geld in der Bibel aufbewahrte und auf die man in Notlagen immer rechnen konnte. Gammy hörte sich die Geschichte an, musterte das Lehrbuch, betrachtete das Inserat und erklärte: «Nur Räuber eignen sich Sachen an, ohne dafür zu bezahlen. Kaufe nie, solange du nicht den Kaufpreis in der Tasche hast. Jetzt hole alles zusammen, was die Leute dir geschickt haben. Wir senden es zurück. Einen Jungen in deinem Alter überhaupt anzunehmen, ist ein Verbrechen. Hochstapler sind es, nichts anderes!»
Also machten Cleve und ich uns daran, die Briefe, Broschüren und Zirkulare zusammenzusuchen, aber ein großer Teil des Materials war nicht mehr aufzufinden oder war mit Bleistift verschmiert und zu Zetteln zerrissen. Die Bücher und Broschüren wiesen alle Spuren von Obstflecken oder den Zähnen unseres Hundes auf, und über eines der dicksten Bücher hatte jemand eine Tasse Kakao ausgeleert. Gammy schrieb den «Erschließern», daß sie für die Bücher und das
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