Betty kann alles
reden, und an ihrer Stimme konnte ich erkennen, wie aufgeregt sie war, denn sie sprach genauso hastig wie Mrs. Carstairs. «Was soll das, und wieso haben Sie meine Schwester und mich hierher gebracht?»
Der Braunäugige sagte kopfschüttelnd: «Zwei so nette Mädchen wie ihr? Ich kann's wirklich nicht verstehen, wie ihr so etwas machen könnt.»
«Was machen?» fragte Mary.
Der Beamte langte in seinen Schreibtisch und holte ein Kuvert heraus, dem er etwa zwanzig Briefe entnahm. Alle waren mit meiner schlecht nachgemachten Unterschrift gezeichnet oder Martha Heath's Name stand darunter. Und jedem Brief war eine von Marys Geschäftskarten beigefügt. Sämtliche Briefe waren an Mr. Ajax gerichtet und enthielten unanständige Bemerkungen.
Nach einem Blick auf die Briefe fragte Mary: «Darf ich Ihr Telefon benützen?»
«Natürlich», entgegnete der mit den schweren Lidern und schob Mary den Apparat zu. Mary drehte eine Nummer, und während sie auf Antwort wartete, biß sie sich nervös auf die Lippen, und ihre Finger trommelten auf die Schreibtischplatte. Als Andy sich meldete, stieß sie zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor: «Die Bombe ist geplatzt. Betty und ich sitzen im Hauptpostgebäude und sind verhaftet.»
Andy erwiderte etwas, aber Mary hörte nicht lange zu und fuhr fort: «Komm so schnell du kannst und bring das Dossier von Dorita Heß mit.»
«Was hat Andy gesagt?» erkundigte ich mich, nachdem sie abgehängt hatte.
Sie machte eine vielsagende Bewegung zu unseren beiden Gefängnishütern hinüber und wehrte meine Frage ab. «Laß das jetzt. Er wird gleich hier sein.»
Als Andy kam, stellte er sich vor, sah sich die Briefe an, erzählte den Postinspektoren alles, was er von Dorita Heß wußte, und schickte Mary und mich heim.
Die Postinspektoren entschuldigten sich bei Mary und mir, und wir wußten nicht recht, was wir sagen sollten. «Es macht gar nichts», oder «Wir haben es gern getan», die üblichen Erwiderungen auf Entschuldigungen, schienen uns hier fehl am Platz. Schließlich schüttelten wir den Beamten nur die Hände und trollten uns.
Eine Woche später konnte man in der Zeitung eine kleine Nachricht lesen, daß eine gewisse Dorita Heß verhaftet worden war und gestanden hatte, durch die Post unanständige Briefe an ihr fremde Personen gesandt zu haben.
Wir hörten nie, was eigentlich mit ihr geschah und ob sie verurteilt wurde, aber jedes Jahr zu Weihnachten, wenn die ersten Weihnachtslieder ertönen, muß ich an Dorita mit ihren zehn Pelzmänteln und ständig wechselnden Haaren denken und daran, wie sie die klebrigen Pfannkuchen mit den Handschuhen aß.
15
Ich weiß, daß die meisten Leute der Meinung sind, niedrige Gehälter und die plumpen Annäherungsversuche des Chefs oder der Kollegen seien die spitzesten Steine auf dem Pfad eines arbeitenden Mädchens. Ich bin anderer Meinung. Für mich sind Stenographie und vom Büro veranstaltete «gesellige Beisammensein» die dornigsten Zugaben.
Büroarbeit an und für sich ist schon eintönig genug mit all dem Stenographieren und Übertragen von anderer Leute Gedanken, meist langweilig und nicht wert stenographiert, geschweige denn abgeschrieben zu werden, dazu die nicht endenwollende Reihe herzustellender Abschriften und das leidige Stempeln von Daten auf unwichtige Schriftstücke. Aber schlimmer als all das ist der krampfhafte Versuch, gesellig sein zu wollen. Warum um Himmels willen sollen sich Leute, die in einem Büro arbeiten, auch privat befreunden und ein Herz und eine Seele bilden? Es ist genau so, als fordere man die Bewohner eines großen Mietshauses auf, sich gegenseitig zu duzen und gut Freund zu sein.
Die von Büros veranstalteten «geselligen Beisammensein», die ich mitmachte, waren entweder so steif, daß man aus dem Gähnen nicht herauskam, oder es ging über die Grenzen des Anstandes hinaus ausgelassen zu. Bei solchen Bürofesten verwandelten sich scheue Buchhalter, die für gewöhnlich Kollegen, mit denen sie über zwanzig Jahre zusammenarbeiteten, noch immer mit «Fräulein» oder «Herr» ansprachen, in lüsterne Knaben älteren Datums, die jedes weibliche Wesen zwickten; die unnahbarsten der Sekretärinnen verloren schon nach dem ersten Glas die Haltung und wurden hysterisch, und der Chef, dessen überlegene und vornehme Freundlichkeit man bewundert hatte, entpuppte sich als der Gatte einer Dame, die schmutzige Witze erzählte und darauf bestand, ununterbrochen jedermann «noch'n Gläschen» zu kredenzen.
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