Betty kann alles
jemand ihm bunte Glühbirnen für den nächsten Tag versprochen hatte und er das Anbringen der bunten Lichter mit Mary besprechen wollte. Mary öffnete ihre Handtasche, um eine ihrer Geschäftskarten herauszunehmen, und zeigte sich ärgerlich, als sie keine fand. «Ich weiß ganz genau, daß ich vor knapp einer Woche ungefähr fünfundzwanzig Karten eingesteckt habe», meinte sie. «Hast du welche genommen, Betty?» «Nur zwei», erwiderte ich. «Eine für den Mann mit den Zuckerstengeln und eine für den Mann mit den Autobussen, aber das ist schon über eine Woche her.»
«Erinnere mich morgen früh daran, daß ich wieder welche einstecke», bat Mary.
Nachdem die Arbeiter gegangen waren, verweilten wir noch ein wenig, zündeten die Glühbirnen am Baum an, stellten uns davor und bewunderten den blitzenden Stern an der Baumspitze. Weihnachtsstimmung erfüllte mich, und ich fühlte mich weich werden vor Gefühlsseligkeit wie eine schmelzende Kerze.
«Es muß doch schrecklich sein, Weihnachten ohne Familie zu feiern», sagte ich leise.
«Furchtbar!» stimmte Mary mir zu. «Stell dir Weihnachten in einem Hotelzimmer vor. Ganz allein. Und zu sehen, wie die Leute auf der Straße mit freudig erregten Gesichtern zu ihren Kindern und Männern und Frauen heimeilen.»
«Und stell dir vor, am Weihnachtsmorgen dein Geschenk von dir selbst entgegennehmen zu müssen.»
«A propos», sagte Mary. «Wo steckt eigentlich Dorita?»
«Vermutlich ist sie heimgegangen. Vor einer Stunde ungefähr ist sie verschwunden.»
«Man muß für alles dankbar sein. Komm, löschen wir die Lichter aus und gehen wir auch heim.»
Als wir das Gebäude verließen, rief Mary plötzlich: «Himmel, ich habe vergessen, ein Taxi zu bestellen. Warte eine Sekunde, ich bin gleich wieder da», und sie lief zurück ins Haus. Ich blieb auf den breiten Steinstufen stehen. Der Nebel hatte sich verdichtet und kroch m dicken Schwaden über die Straßen. Aus allen Richtungen hörte man Autos hupen, und vom Sund her klangen die dumpfen Nebelhörner der Frachter als Warnung für die anderen Schiffe, auf der Hut zu sein. Das Kreischen von Autobremsen veranlaßte mich, zur Seite zu schauen, und da sah ich Dorita gegen einen Pfeiler gelehnt stehen und mich anstarren.
«Ich dachte, Sie wären schon längst heimgegangen», meinte ich nicht gerade übertrieben freundlich.
«Ich beobachte den Nebel. Ich liebe Nebel. Er erinnert mich an London.»
«Kennen Sie London?»
«Ja, ich habe ungefähr fünf Jahre dort gelebt.»
«Wann?» fragte ich.
«Was würden Sie tun, wenn Ihren Kindern ein Unglück zustieße», fragte sie zurück.
«Was reden Sie da? Was soll das heißen?» fuhr ich sie an.
«Ach, gar nichts. Ich überlegte nur gerade, wie Sie sich wohl benehmen würden, wenn Ihren Kindern etwas zustieße.»
«Erstens einmal wird meinen Kindern nichts zustoßen», erklärte ich fest, «und zweitens können Sie sich darauf verlassen, daß ich den Übeltäter finden und umbringen würde.»
«Ich habe Ihnen ein Geschenk mitgebracht, Betty.»
«Ich will kein Geschenk von Ihnen.»
Ohne auf meinen Protest zu achten, öffnete sie ein Paket, das sie unter dem Arm getragen hatte, und nahm aus dem braunen Papier ein langes Kleid. Auf mich zukommend, drückte sie es in meinen Arm. «Fröhliche Weihnachten.»
Es war zu dunkel, um viel zu erkennen, aber ich fühlte, daß das Kleid aus reiner Seide war, und ich sah auch ein Preisetikett daran baumeln. Diese Etikette wurden beim Einkauf stets abgetrennt. Ich warf Dorita das Kleid zu. «Ich will kein Weihnachtsgeschenk von Ihnen», wiederholte ich.
«Nur keine Aufregung», sagte sie stoisch und packte das Kleid wieder ein. Als Mary zurückkam und Dorita bei mir stehen sah, sagte sie ebenfalls erstaunt: «Ich dachte, Sie seien schon längst heimgegangen.»
«Ich habe hier ein Weihnachtsgeschenk für Sie, Mary», entgegnete Dorita und drückte Mary das Paket in die Hand.
«Wie lieb von Ihnen, Dorita», entgegnete Mary. «Vielen Dank.»
«Nimm's nicht!» rief ich. «Es ist ein Kleid, und das Preisetikett hängt noch daran. Sie hat es mir schon aufdrängen wollen. Nimm's nicht, Mary!»
«Betty, wie kannst du so unhöflich sein», schalt Mary mich.
«Ich bin nicht unhöflich», rief ich, «nimm das Ding nicht, Mary!»
In diesem Augenblick fuhr unser Taxi vor. Mary bot Dorita an, sie heimzufahren, aber Dorita lehnte dankend ab. Als Mary und ich die Stufen hinunterschritten, hörte ich Doritas widerliches Lachen. Ich riß Mary
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