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Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Titel: Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kassem
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Sicherheitsfirma ab.
    Um 15 Uhr hatte Viktor immer seinen „Termin“ bei Gerald van den Berg. Gerald van den Berg war der Supervisor des Überwachungsraums und Viktor saß immer eineinhalb Stunden bei ihm und sie beobachteten die Bildschirme. Gerald nahm ab und zu sein Funkgerät oder drückte auf einen Knopf auf der Konsole und sagte Sachen wie „115 an 438, Flur 23 bewachen“ oder „115 an 574, Parkdeck E, blauer Golf auf 159, authentifizieren“. Gerald van den Berg kam aus einem Land, wo es Löwen und Giraffen gab, wo Frauen goldene Ringe am Hals trugen und große Körbe auf dem Kopf balancieren konnten und es angeblich das beste Essen der Welt gab: Maniok mit geräuchertem Fisch. Als Viktor fragte, warum seine Haut schwarz sei, antwortete Gerald: „Als Gott gerade dabei war, Menschen zu backen, wurde er kurz abgelenkt von einem Notruf. Er vergaß mich im Ofen und ich wurde ein wenig angekokelt.“
    Oft war es in der Firma nachmittags sehr ruhig, niemand bedrohte die Sicherheit der Mitarbeiter, keine mysteriösen Autos lungerten auf den Parkdecks und keine verdächtigen Machenschaften auf den Fluren erregten Geralds Aufmerksamkeit. In diesen ruhigen Phasen tauschten sie Fußballaufkleber. Gerald hatte immer einen großen Karton Käsedreiecke unter dem Tisch, in jeder runden Packung gab es drei Aufkleber. Nachdem sie lange Auseinandersetzungen darüber geführt hatten, wer welchen Aufkleber behalten darf, aßen sie die ganze Packung auf. Sie bissen die Folie einer Ecke des Käsedreiecks ab, drückten den Schmelzkäse wie Zahnpasta heraus und Gerald erzählte Fußballgeschichten. Er konnte zu jedem Fußballspieler etwas erzählen. Von ihm lerne Viktor Ausdrücke wie „Der soll sich mal ficken lassen“ oder „Die laufen immer herum, als ob sie einen Stock im Arsch hätten“ oder „Der darf bestimmt noch nicht mal an seine Mutter ran“. Als Immanuel Abies das mitbekam, wurde Gerald zwei Wochen lang suspendiert, danach hörte Viktor nie wieder solche spannenden Ausdrücke. Aber sein 15-Uhr-Termin blieb und Gerald bastelte für ihn ein Schild mit „Viktor P. Abies – Junior-Chefinspektor und Fußballmasterprofichecker“. Jahre später, nachdem Viktor nicht mehr nach der Schule zur Firma ging, bewahrte er das Schild in einem Karton unter seinem Bett auf.
    Um 16:28 Uhr sahen sie immer auf dem Bildschirm, wie ein junger Mann die Eingangshalle betrat. Viktor bekam Hausaufgabenbetreuung von einem Studenten namens Marco. Marco hüstelte immer, machte einen anämischen Eindruck, war sehr schüchtern und für alles sehr dankbar. Er hatte ein Praktikum bei Bresolino Views gemacht und Immanuel Abies stellte ihn nach Beendigung seines Praktikums als Hausaufgabenbetreuung für Viktor ein, wegen seiner hervorragenden Noten in seinem Elektrotechnikstudium, seiner peniblen Sorgfalt und seines bedingungslosen Gehorsams. Marco gab sich sehr große Mühe mit Viktors Hausaufgaben, was dazu führte, dass Viktor seit der ersten Klasse immer Klassenbester war und sogar zweimal Schulbester, was wiederum zur Folge hatte, dass Immanuel Marcos Gehalt verdoppelte und ihm ein neues Mountainbike schenkte, was wiederum dazu führte, dass Marco wie ein Eiswürfel in praller Sonne zerfloss vor Dankbarkeit, Demut, Unterwürfigkeit und Verbundenheit, und seine Loyalität gegenüber Immanuel, Viktor und Bresolino Views stieg ins Unermessliche. Die Hausaufgabenstunden mit Marco im letzten Stockwerk in einem leeren Meetingraum waren nie lustig oder unterhaltsam oder spannend, aber Viktor fühlte sich immer sehr beruhigt in Marcos bedächtiger und ausgeglichener Gegenwart und erlaubte seiner Mutter niemals, irgendeinen Notizzettel mit Marcos Schrift darauf wegzuwerfen.
    Um 18 Uhr ging Marco immer. Ganz am Anfang, als Viktor noch in der ersten Klasse war, waren sie immer nach sehr kurzer Zeit fertig mit den Hausaufgaben, aber Marco wurde für 90 Minuten bezahlt und Immanuel Abies beharrte darauf, dass die 90 Minuten sinnvoll auszufüllen sind. Das führte dazu, dass Marco Unmengen von Lernspielen und Tests zum Zeitvertreib erfand. Er machte in den Ferien – Viktor hatte in den Ferien aus ihm unverständlichen Gründen auch Hausaufgabenbetreuung – immer Ausflüge mit Viktor. Sie besuchten die Seifenfabrik, die Eiscreme-Fabrik, die Bauernhöfe und die Autowerkstätten in der Umgebung von Hedera Helix, das Naturkundliche Museum und alle Veranstaltungen von Amnesty International und Greenpeace. Sein Vater musste alle Ausflüge genehmigen, sie

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