Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)
Er musste sich die Hände waschen, sollte sich dann hinsetzten, bekam eine Schürze um und musste drei Packungen Kekse und zwei Tortenböden zu Krümel verarbeiten. Das machte Spaß. Viktor legte sich die Kekse in die Handfläche und ballte eine Faust, während er grölte und fauchte. Er stellte sich vor, er wäre Godzilla, und er würde durch die Straßen laufen und Autos in seiner Faust zerdrücken.
Dann musste er Eigelb schaumig schlagen, er stellte sich vor, dass der Mixer eine Bohrmaschine war und er gerade eine sprudelnde Quelle von geschmolzenem Gold gefunden hatte. Nachdem er das Eigelb in die Krümelmasse tat, wurden die Kekse und das Eigelb zu einem Teig verarbeitet. Viktor musste sich wieder die Hände waschen, bekam die Schüssel und musste mit den Händen kneten. Er nahm Teig in eine Hand, ballte sie zur Faust, und wurmartig quoll der Teig durch seine Finger. Der Sinn dieser ganzen Aktion war ihm nicht ersichtlich, aber das war egal. Es war Geburtstag und er hatte eine Vorahnung, dass dieser Brei etwas mit seinem Geburtstag zu tun hatte. Es war auch egal, dass seine Mutter großzügig Rum in die Masse tat und er dann aus dem Teig kleine Bällchen formen musste, sie dann in Kokosraspeln wenden und auf jedes Bällchen eine kleine kandierte Kirsche drücken musste. Das Endergebnis war zwar hübsch, stank aber nach Rum und Kokos. Viktor mochte weder Rum noch Kokos, aber er dachte sich, dass man mit acht schon groß war, da musste man vielleicht Rum mögen.
„Viktor, das ist nicht für dich!“, rief seine Mutter, als er eins probierte. Da war er aber dankbar für diese Mitteilung, denn es schmeckte ganz furchtbar ekelig.
Hamid, der Schneider aus Bahrain, wurde hochgerufen und musste den Tisch im Wohnzimmer umstellen und auseinanderziehen, die Birne in der Wohnzimmerlampe wechseln und die Getränkekisten aus der Küche im Wohnzimmer unter dem Tisch verstauen.
Während Viktor badete, machte Helena Käse-Spieße und eine Schafskäse-Oliven-Paste, schnitt die Baguettes auf, schickte Oded zu Rocco, damit er den Apfelkuchen abholte, rief Viktor zu, er soll e mal versuchen, seine Haare selber zu waschen, mit acht könne man das schon alleine machen, holte ihren Schokoladenkuchen aus dem Ofen, bedeckte ihn mit einer Schokoladenglasur und steckte acht Kerzen darauf, lief dann ins Badezimmer, weil Viktor schrie (er hatte Shampoo in der Augen und bekam Panik, dass er mit acht Jahren schon erblindete), wusch ihm die Haare, schickte ihn in sein Zimmer, überprüfte, ob alles fertig und bereit war, und ging dann wieder herunter ins Atelier. Die Gäste sollten erst gegen 16 Uhr kommen, es war fast 14 Uhr, somit konnte sie noch einiges erledigen. Sie setzte sich an die Nähmaschine, atmete aus und versuchte sich zu entspannen.
Der erste Gast war Rocco. Helena hatte ein Sommerkleid angezogen, sich ein wenig geschminkt, selbstverständlich ihre Haare nicht offen gelassen, aber mal zur Abwechslung keinen strengen Knoten sondern einen hohen, offenen Zopf gebunden. Dazu kam noch eine großzügige Parfümwolke. Rocco wollte direkt schon gehen, als er sah, dass er der erste Gast war, aber Helena befahl ihm hereinzukommen und dirigierte ihn zum Sofa. Rocco traute sich nicht, Nein zu sagen. Er hatte seinen besten (und einzigen) Anzug an, wollte gerade etwas auf Helenas missbilligende Blicke wegen der zu langen und abgetretenen Hosenbeine erwidern, aber er fand sie – so schick hergerichtet – viel einschüchternder als sonst, also schwieg er. Sie kochte Kaffee, füllte ihn in Thermoskannen, schimpfte in der Zwischenzeit mit Rocco, warum er denn seine Mutter nicht mitgebracht hatte, und zwang ihn dann noch einmal, nach Hause zu gehen. Obwohl Rocco drei Jahre älter als Helena war, fühlte er sich in ihrer Anwesenheit wie ein kleiner Junge. Er ging grummelnd nebenan ins Reconquista und zwang seine überraschte Mutter mitzukommen. Seine Gitarre und das eingepackte Geschenk ließ er im Wohnzimmer stehen. Viktor saß auf dem Sofa und starrte das Päckchen an, aber die Blicke seiner Mutter aus der Küche verhinderten, dass er das Geschenkpapier aufriss.
Dann kamen alle Bresolino-Views-Leute auf einmal. Gerald van den Berg hatte Marco und die Putzfrau mit dem Auto abgeholt und sie trafen dann Emilia und Viktors Vater auf der Expressstraße Richtung D4. Wie eine Autokolonne fuhren die drei Wagen in die Aquifoliumstraße herein. Viktor war ganz außer sich, die vielen Leute und die vielen Päckchen mit Geschenkpapier … er hüpfte
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