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Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Titel: Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kassem
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auf und ab und legte seine Geburtstagskassette auf. Als die Atelier-Leute kamen und Opa Gideon auftauchte und das Wohnzimmer voll wurde und die ganzen Geschenke auf dem Wohnzimmertisch standen und alle durcheinanderredeten, tanzte Viktor in seinem Darth-Maul-Kostüm zum Happy-Birthday-Lied wie Michael Jackson, dessen Choreographie Viktor manchmal heimlich übte, und alle lachten und klatschten und die Welt war wunderschön.
    Viktor bekam nicht so viel mit von der Zeit , bis die Geschenke ausgepackt wurden. Die üblichen Grüppchen hatten sich gebildet. Die Schneiderinnen und Emilia saßen am Tisch, tranken Kaffee und redeten alle durcheinander. Sein Vater, Opa, Gerald van den Berg und Hamid und Malek, die zwei Schneider aus Bahrain, standen mit jeweils einem Glas in der Hand am Fenster, das auf den Platz vor dem Haus schaute, und redeten über Autos (zumindest vermutete Viktor, dass Autos das Thema waren, denn die Autos waren vor dem Haus geparkt und es wurde heftig gestikuliert und nach unten gezeigt). Marco und Oded saßen auf dem Boden und redeten angeregt über irgendwas. Rocco, Roccos Mutter und die Putzfrau saßen ganz verloren auf der Couch. Aber dieses Problem löste sich ganz schnell. Rocco wurde zum Fenster gerufen und musste irgendeine technische Stellungsnahme zu seinem Auto abgeben, das auf dem Hinterhof des Reconquista stand. Roccos Mutter und die Putzfrau fanden heraus, dass die Putzfrau aus Russland kam, und da Roccos Mutter damals Russisch in der Schule gelernt hatte, fingen sie plötzlich an, in einer fremdländischen Geheimsprache zu reden. Viktor fand das gruselig. Helena schwirrte von einer Gruppe zur nächsten, schenkte Kaffee ein, redete mit jedem ein wenig, und verbreitete ihren Parfümduft.
    Irgendwann kam Helena mit der Torte herein, sie hatte die Kerzen angezündet, alle sangen für Viktor, der sich an das Bein seines Vaters klammerte und vor Glück fast ohnmächtig wurde. Dann küsste und umarmte ihn jeder , und er dachte, sein Herz würde zerspringen. Dann kamen die Geschenke. Viktor atmete tief ein und sagte sich, dass er ja schon acht sei, mit diesem fortgeschrittenen Alter müsse man selbstverständlich Contenance wahren (das Wort „Contenance“ hatte er von Emilia gelernt, und sie hatte ihm das auch so erklärt, dass er verstand, was es bedeutete).
    Viktor stand vor dem Haufen eingepackter Geschenke und öffnete langsam und vorsichtig die Geschenkpapiere, um sie nicht zu zerreißen. Er mochte Geschenkpapier, es war immer so bunt und so hübsch und erinnerte an Geburtstag und er fand es schade, es einfach zu zerreißen, zu zerknüllen und dann in den Müll zu werfen.
    Er schaute sich Rocco an, der grobschlächtige, mürrische Rocco, der mit einem Glas dastand, in seinem missratenen Anzug vollkommen fehl am Platz aussah und ab und zu vor sich hingrummelte; und dann das linkisch verpackte, zerknitterte Geschenk, dessen Ecken schon verbeult und eingerissen waren. Das Geschenkpapier war nicht wirklich Geschenkpapier, sondern Alufolie. Ein Stück Verpackungsschnur war als Schleife drumgebunden. Er stellte sich vor, wie Rocco in seiner schummrigen, rauchigen Bar am Tresen stand und versuchte, das Geschenk einzupacken, mit einer Zigarette im Mundwinkel und ungeduldig zusammengezogenen Augenbrauen. Viktor war davon emotional so überwältigt, dass er zu Rocco lief und sein Bein umarmte. Rocco schaute überfordert, kniete sich aber hin und umarmte ihn. Viktor bekam Atemnot von Roccos Umarmung, die ihm die Luft aus den Lungen zu pressen und ihm die Rippen zu zerquetschen drohte, aber er legte seinen Kopf auf Roccos Schulter, atmete den Rocco-Duft aus Nikotin, Bier und Aftershave ein und flüsterte: „Danke, Rocco!“ Rocco grummelte irgendetwas Unverständliches.
    Dann ging er reihum und umarmte jeden. Sein Vater hob ihn hoch und hielt ihn eine Zeitlang fest und küsste ihn auf den Nacken. Seine Mutter hob ihn ebenfalls hoch und bedeckte sein Gesicht mit ganz vielen Küssen. Gem schaute erschrocken und wich zurück, aber Viktor umarmte ihn trotzdem und sie rauften ein bisschen. Er umarmte vorsichtig die kleine, dünne Hala, die strahlend und lächelnd seine Umarmung erwiderte und ihm einen kleinen Hauch von Küsschen auf die Wange gab. Reihum umarmte er jeden der Ateliermitarbeiter: Malek und Hamid, Maricel und Donna und Andala. Dann Oded, der ihn durch das Wohnzimmer wirbelte. Dann umarmte er die wunderbar duftende und hübsche Emilia, Gerald van den Berg hob ihn hoch und ließ ihn an den

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