Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)
nicht dreckig. Bist du schon wieder James Bond?“
„Nein. Bruce Wayne“, antwortete Viktor.
Sie machte ihm Erdbeer-Pfannkuchen und erlaubte ihm so viel Marmelade darauf zu tun, wie er wollte. Dann legte sie Viktors Geburtstagskassette auf, eine Musikkassette, auf der in Endlosschleife ein Männerchor und ein Frauenchor „Happy Birthday“ sangen, mit lachenden Kinderstimmen und Fanfaren im Hintergrund. Diese Kassette, die älter war als Viktor selbst, gehörte so felsenfest zu seinem Geburtstagritual, dass er nicht ein Jahr älter werden konnte, ohne die Kassette zu hören. Er sollte es sein Leben lang immer an seinem Geburtstag hören, auch mit 17 oder 23 legte er es immer für sich selbst auf. Erst nachdem die Kassette zu Ende war, wurde Viktor offiziell ein Jahr älter.
Nachdem er aufgegessen hatte – Helena erlaubte ihm auch, den Teller sauberzulecken, was er normalerweise nie durfte –, sah er sie erwartungsvoll an.
Sie lachte. „Nein , Viktor, erst heute Nachmittag.“
Für den Nachmittag war eine Party geplant. Am Montag sollte er in der Schule feiern, aber heute war der Erwachsenengeburtstag. Sein Vater, Opa Gideon, Gerald van den Berg, Marco, Emilia und die Mitarbeiter aus dem Atelier würden mit ihm feiern. Auf besonderen Wunsch von Viktor waren die Putzfrau aus Bresolino Views, Rocco, Samuel und Linda ebenfalls eingeladen.
Nach dem Frühstück kamen die Frauen aus dem Atelier hoch und halfen Helena beim großen Hausputz, Oded bekam eine Einkaufsliste und Viktor wurde mitgeschickt, damit er nicht in der Wohnung im Weg stand.
Im Getränkemarkt fuhr Oded ihn in dem großen Einkaufswagen herum . Außer den üblichen langweiligen Getränken durfte Viktor sich einen eigenen Kasten aussuchen, also hievte Oded einen ganzen Kasten „Crazy Cherry Fizzo“ in den Einkaufswagen.
Niemand wusste , woher Oded kam. Oder seit wann er in Hedera Helix war, oder was er vorher gemacht hatte. Er tauchte einfach eines Tages vor vier Jahren im Atelier auf und fragte, ob Helena Arbeit für ihn habe. Sie fragte ihn, ob er nähen könne. Als er Nein sagte und sie sich gerade schon umdrehte und weggehen wollte, rief er: „Ich bitte Sie, mich anzustellen, ich brauche das Geld! Ich habe einen Führerschein, kann putzen, kochen, Kaffee machen, bin schnell und zuverlässig und kann schwere Kisten heben. Bitte!“
Da war Oded erst 17 Jahre alt. Und mit seinen blonden Haaren und blauen Augen und der tollpatschigen, dürren Figur wirkte er so verloren und verzweifelt, dass Helena sofort erweichte und ihm erstmal drei Monate unbezahlte Probezeit gab. Er durfte im kleinen Zimmer im Dachgeschoss wohnen und mit den Ateliermitarbeitern essen. Als er die Probezeit bestanden hatte und sein Fleiß, seine sprudelnde Energie und seine Herzlichkeit Helena überzeugt hatten, stellte sie ihn als ein Mädchen für alles an. Er erledigte Botengänge und alle Handwerksarbeiten, hielt das Atelier sauber und war Hausmeister, Chauffeur und Babysitter.
Seitdem gab es wilde Spekulationen über Oded. Laut verschiedenen Vermutungen kam er wegen seines seltsamen Akzents und seines nordischen Aussehens entweder aus Norwegen oder Schweden und war sicherlich entweder auf der Flucht wegen Mord, oder Interpol suchte ihn wegen Raub. Oder er war Helenas verlorener Sohn aus einer anderen Ehe. Man erwartete, dass eines Morgens die ganze Kasse verschwinden oder das Atelier anzünden und die Kinder entführen würde. Selbstverständlich traf nichts davon auf Oded zu. Aber wilde Spekulationen nehmen ihren natürlichen Lauf, und so war Oded immer entweder Terrorist, Spion, Agent, Psychokiller, Helenas Liebhaber oder ein irrer Vergewaltiger.
Oded kam aus dem Nichts, pflanzte sich in der Aquifoliumstraße ein und wurde zu einem festen Mitglied der kleinen Bevölkerung von Hedera Helix. Sein fremdländisches A ussehen und Sprechweise rührten daher, dass er aus Ǻland kam, der autonomen finnischen Inselgruppe in der Ostsee zwischen Finnland und Schweden. Mit 14 von zu Hause abgehauen, weil ihm die Eintönigkeit der 6757 Inseln des åländischen Archipels die Luft zum Atmen nahm, machte er mit ein paar Freunden eine Weltreise. Nachdem sie in Papua-Neuguinea an Cholera erkrankt waren, in Südafrika ein paar Tage im Gefängnis verbracht hatten und in Ecuador ein paar Tage Filmriss gehabt hatten, trennten sich ihre Wege. Zwei seiner Kameraden kehrten nach Ǻland zurück, einer machte sich auf den Weg in die USA, und Oded zog mit seinem Rucksack weiter. Er streunte
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