Beute
spürte, dass ich völlig angespannt war, eine unangenehme Anspannung, wie, wenn man denkt, der andere weiß etwas und will es nicht sagen - weil es ihm peinlich ist, weil er nicht weiß, wie er es ausdrücken soll, weil er sich nicht einmischen will, weil es zu gefährlich ist, es auch nur anzusprechen, weil er denkt, du müsstest schon von allein auf den Trichter kommen. Erst recht, wenn es mit deiner Frau zu tun hat. Zum Beispiel, dass sie mit einem anderen schläft. Er blickt dich an wie eine wandelnde Leiche, als wäre es die Nacht der lebenden Toten, aber er sagt es dir nicht. Meiner Erfahrung nach erzählt ein Mann niemals einem anderen Mann, was er über dessen Frau weiß. Hingegen eine Frau erzählt es einer anderen Frau, wenn sie weiß, dass deren Mann untreu ist.
Das ist einfach so.
Aber ich war dermaßen angespannt, dass ich am liebsten .
»Gott, ich hab völlig die Zeit vergessen«, sagte Ricky und schenkte mir ein breites Lächeln. »Ich bin schon spät dran, Mary reißt mir den Kopf ab, ich muss mich beeilen. Sie ist schon sauer, weil ich die nächsten paar Tage draußen in der Fertigung bin. Ich bin also nicht zu Hause, ausgerechnet dann, wenn das Dienstmädchen nicht da ist … « Er zuckte die Achseln. »Aber du kennst das ja.«
»Und ob ich das kenne. Viel Glück.«
»He, Mann. Pass auf dich auf.«
Wir gaben uns die Hand. Murmelten noch eine Verabschiedung. Ricky rollte seinen Wagen um die Ecke des Ganges und war verschwunden.
Manchmal kann man sich nicht mit schmerzhaften Dingen beschäftigen, man schafft es nicht, sich darauf zu konzentrieren. Der Verstand stiehlt sich einfach davon, nein, danke, wechseln wir das Thema. Das passierte mir jetzt. Ich konnte nicht über Julia nachdenken, also dachte ich über das nach, was Ricky mir vom Fertigungswerk erzählt hatte. Und ich fand, dass es durchaus Hand und Fuß hatte, auch wenn es gegen alles sprach, was landläufig über Nanotechnologie bekannt war.
Unter Nanotechnologen hielt sich schon lange Zeit eine Fantasievorstellung, dass nämlich, sobald irgendwer herausfand, wie sich auf atomarer Ebene produzieren ließ, eine wahre Revolution ins Rollen kommen würde. Alle würden es aufgreifen, und auf der ganzen Welt würden Unmengen von wunderbaren Molekularkreationen vom Fließband laufen. Binnen Tagen würde diese fantastische neue Technologie das Leben der Menschen verändern. Es musste nur irgendwer herausfinden, wie es ging.
Aber selbstverständlich würde es niemals genau dazu kommen. Allein schon der Gedanke war absurd. Denn im Grunde genommen unterschied sich die molekulare Herstellung gar nicht so sehr von der Computerherstellung oder der Ventilherstellung, der Automobilherstellung oder der Herstellung von irgendetwas anderem. Alles brauchte seine Zeit, bis es richtig funktionierte. Ja, der Zusammenbau von Atomen zur Fertigung neuer Moleküle war eigentlich dem Kompilieren eines Computerprogramms aus einzelnen Codezeilen sehr ähnlich. Und ein Computercode ließ sich nicht gleich beim ersten Mal kompilieren. Die Programmierer mussten ständig irgendwelche Zeilen überarbeiten. Und selbst wenn das Computerprogramm kompiliert war, lief es nie beim ersten Mal einwandfrei. Auch nicht beim zweiten Mal. Oder beim hundertsten Mal. Es mussten Fehler beseitigt werden, und das immer und immer wieder. Und dann noch einmal.
Ich hatte schon häufig gedacht, dass es bei der Herstellung von Molekülen genauso sein musste - es würden immer und immer wieder Fehler zu beseitigen sein, bevor alles problemlos funktionierte. Und wenn Xymos wollte, dass »Schwärme« von Molekülen zusammenarbeiteten, dann würden auch in der Art und Weise, wie diese Moleküle miteinander kommunizierten, Fehler auftreten, die ausgemerzt werden mussten, so eingeschränkt die Kommunikation auch war. Denn sobald die Moleküle gemeinsam agierten, hatte man ein primitives Netzwerk. Um das zu organisieren, musste man wahrscheinlich ein verteiltes Netz programmieren. So eins, wie ich es bei Media-Tronics entwickelt hatte.
Ich konnte mir also sehr gut vorstellen, dass sie parallel zur Herstellung noch fleißig programmierten. Aber ich konnte mir nicht erklären, was Julia da zu suchen hatte. Die Werksanlage lag weit von der Xymos-Zentrale entfernt, praktisch am Ende der Welt - in der Wüste von Nevada, nicht weit von Tonopah. Und Julia war nicht gern am Ende der Welt.
Ich saß beim Kinderarzt im Wartezimmer, weil die nächste Impfung für das Baby anstand. Außer mir waren vier
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