Beuterausch
Dörrfleisch und ein Päckchen gesalzene Erdnüsse gegessen. Er hatte dem Cutty in seiner Feldflasche widerstanden und war beim Wasser geblieben. Aber vielleicht wurde es Zeit, weiterzuziehen.
Er warf einen letzten Blick durch das Leupold. Alles, was er sah, waren zwei Mantelmöwen auf dem Weg zur ungefähr einen Kilometer entfernten Küste.
Hier konnte er nur noch Vögel beobachten.
Vielleicht am Fluss, dachte er. Die Sonne näherte sich dem Zenit. Ein Hirsch könnte Durst bekommen.
Er hockte sich in ein Dickicht, hinter sich einen großen Bestand an Weißbirken. Von hier aus hatte er einen guten Blick auf den Fluss, der unter ihm schnell vorbeiströmte. Er war wieder auf der Windseite und wagte, ein paar Schlucke von dem Cutty zu trinken. Der Scotch brannte angenehm in der Kehle. Mit dem Zielfernrohr suchte er den Fluss ab. Er nahm noch einen Schluck, dann legte er das Auge wieder ans Zielfernrohr, und um ein Haar wäre er auf den Hintern gefallen.
Die Frau war nackt bis zur Taille.
Sie ist tief in den kühlen Fluss gewatet. Das Wasser reicht ihr bis zu den Waden, dann bis zu den Oberschenkeln. Sie beugt sich vor und schöpft es mit den Händen und trinkt. Das Wasser schmeckt nach Steinen und abgefallenen Blättern.
Sie schält den braunen Seetang vorsichtig von ihrer Seite. Er hat sich mit ihrem Blut vollgesogen. Die Blätter treiben den Fluss hinunter. Erneut schöpft sie Wasser und badet ihre Wunden. Das ist gut. Das lindert. Es fließt nur wenig Blut heraus, ein hellrotes Rinnsal. Sie spritzt sich Wasser ins Gesicht, über die Arme, über die Brüste. Dann geht sie in die Knie und lässt das Wasser auf seine Art die Wunden spülen.
Sie streckt die Arme nach vorn und ertastet das rutschige Felsbett und taucht den Kopf unter. Die Steine sind glatt wie Fleisch. Sie zittert. Das Wasser strömt über sie hinweg und durch sie hindurch wie eine zarte Hand. Sie hebt den Kopf und schnappt nach Luft und geht wieder in die Knie, und in diesem Augenblick sieht sie es langsam vorbeigleiten.
Das Geschenk des Flusses an sie.
Es ging so schnell, dass Cleek es verpasst hätte, wenn er geblinzelt hätte.
Aber er blinzelte nicht.
Im einen Moment kniete sie bis zur Taille im Wasser, wobei ihr nasses Haar über Gesicht, Hals und Schultern fiel wie bei einer – wenn auch schmuddeligen – Nymphe aus einem Märchenbuch, und im nächsten Moment hob sich schon ihre Hand aus dem Fluss, und in der Hand befand sich ein Messer, ein großes Messer, das mit verblüffender Geschwindigkeit schräg nach unten zurück ins Wasser stieß.
Eine kurze Drehung des Handgelenks, und das Messer tauchte wieder auf. Einer der größten kanadischen Bachsaiblinge, die er je gesehen hatte, war daran sauber genau unter den Kiemen aufgespießt.
Mindestens fünfzig Zentimeter lang, zwei bis drei Pfund schwer.
Eine erneute Drehung des Handgelenks – dieses Mal fester –, und sie hatte den Saibling von der Klinge ans Ufer geworfen, wo er sich in seinem Todestanz wand.
Er beobachtete, wie sie sich mit geschlossenen Augen in den Fluss zurücklegte und nur ihr Gesicht und die Brüste aus dem Wasser ragten. Wenn auch nicht ihr Gesicht, so waren zumindest ihre Brüste schön, sie pendelten sanft zu beiden Seiten, die Nippel spitz und dunkel und groß.
Er hielt die Remington ruhig.
Nach einer Weile drehte sie sich auf die Knie und stand auf und watete ans Ufer. Der Saibling rührte sich nicht mehr. Sie bückte sich, spießte ihn wieder mit dem Messer auf, ging zwei Schritte weiter und blieb stehen.
Sie schien Witterung aufzunehmen.
Cleeks Hände zitterten, während er langsam das Gewehr sinken ließ, um zu vermeiden, dass die Sonne auf dem Zielfernrohr glitzerte.
Sie sah nach rechts und links. Fern und nah. Ihr Blick schweifte an ihm vorbei.
Er bemerkte, dass er die ganze Zeit den Atem angehalten hatte, seit sie stehen geblieben war. Sein Herz hämmerte. Er fragte sich, ob sie ihm Angst machte.
Möglich war es.
Auf ihre Art war sie prächtig. Wie ein großes, gefährliches Tier. Die breiten starken Schultern, die langen zähen Muskeln ihrer Arme und Beine. Das Glitzern im Sonnenlicht. Aus dieser Entfernung konnte er ohne das Fernrohr den Dreck, der in ihren Haaren klebte, nicht sehen, aber er wusste, er war da. Auch die Narbe konnte er nicht erkennen.
Alles, was er sehen konnte, war dieses Geschöpf, das dort stand.
Nach einiger Zeit schien sie überzeugt, allein zu sein, und wandte sich ab und trat auf den Pfad, der um den Fluss herum
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