Beutewelt 05 - Bürgerkrieg 2038
dachte in diesen Sekunden an Julia und ließ ihr Lächeln im Inneren seiner Seele wie eine Fackel scheinen. Dann richtete er einen letzten Blick gen Himmel, wo er lediglich aufgeblähte, schwarze Wolken erkennen konnte. Dahinter musste die herrliche Ewigkeit liegen.
„Feuer!“, brüllte der KKG-Offizier und eine kurze Salve hallte durch das stürmische Unwetter. Kohlhaas sah noch für eine Sekunde helles Mündungsfeuer vor sich aufblitzen und fühlte dann einen stechenden Schmerz seinen Körper durchfahren. Der Getroffene brach zusammen. Heftiger Regen hämmerte ihm ins schmerzverzerrte Gesicht und der General verlor das Bewusstsein.
„Haben wir sie alle erwischt?“, rief der leitende Offizier durch die dichte Regenwand.
„Ja, ich denke schon!“, antwortete einer der Soldaten. „Die liegen alle flach. Soll ich noch einmal nachprüfen, ob sie alle hin sind?“
„Nein, ist gut! Dieses Sauwetter reicht mir! Lass uns endlich wieder fahren!“, erwiderte der Vorgesetzte und sprang auf den Laster. Das Exekutionskommando verschwand.
Julia hatte sich vor ein paar Tagen von Ivas auf den Weg nach Minsk gemacht, um endlich noch einmal ihren Vater zu sehen. Nun verweilte sie bereits seit drei Tagen in dessen Wohnung im Zentrum der weißrussischen Hauptstadt. Heute Nacht hatte sie ausnahmsweise einmal einschlafen können, aber die vielen unschönen Gedanken in ihrem Kopf waren soeben zurückgekehrt. Julia schreckte aus dem Schlaf auf. Mit offenen Augen lag sie in ihrem Gästebett und starrte die Decke an.
Der Wecker auf der Kommode neben ihrem Kopf zeigte 3.06 Uhr an. Obwohl sie vorher tief geschlafen hatte, war sie auf einmal blitzartig aufgewacht. Sie war noch immer vollkommen verstört.
„Frank!“, hauchte sie nur leise in die Dunkelheit, um sich dann panisch in ihrem Schlafzimmer umzusehen. Ein unbekannter Schrecken war Julia in die Glieder gefahren, hatte sie aus dem Bett gescheucht. Sie rang nach Luft.
„Was ist los mit mir?“, flüsterte sie. „Habe ich überhaupt geschlafen?“
Sie strich sich durch die blonden Haare und schlich ins dunkle Wohnzimmer. Dort ließ sie sich auf dem Sessel nieder und blickte auf den großen Tisch in der Mitte des vom hellen Mondlicht beleuchteten Raumes. Ihr Vater hatte hier einen gewaltigen Haufen Akten aufgestapelt, der jetzt wie ein kleiner, schwarzer Hügel vor ihr aufragte. Julia hielt sich den Kopf und kramte ihr Handy hervor. Das Bild von Frank war noch immer auf dem Display und als sie es betrachtete, schossen ihr die Tränen in die Augen.
Von Trauer ergriffen ging sie durch den Flur in das Schlafzimmer ihres Vaters und betrachtete ihn für einen kurzen Moment. Der in die Jahre gekommene Mann wirkte angespannt und selbst im Schlaf machte er den Eindruck, als würde er über die Probleme der Welt nachgrübeln.
„Papa!“, wisperte sie und tippte Thorsten Wilden sanft auf die Schulter.
Mit einem lauten Schmatzen und Brummen schlug dieser die Augen auf und stammelte müde: „Was? Was ist los, mein Kind?“
„Ich kann nicht schlafen, Papa!“, erklärte Julia, sich auf die Bettkante setzend.
„Stimmt etwas nicht, Schatz?“
„Ich bin im Schlaf aufgeschreckt und war auf einmal hellwach!“
Wilden schaltete die Nachttischlampe an und blickte Julia verschlafen an. „Vermutlich hast du nur schlecht geträumt …“
„Nein! Ich habe nichts geträumt. Zumindest kann ich mich an nichts erinnern. Nur das Bild von Frank hatte ich plötzlich im Kopf. Einfach so!“
Mit einem leisen Brummen richtete sich Wilden auf und sagte: „Das sind die Nachwirkungen des Schocks über seinen Tod, Julia. Du wirst sie mit der Zeit überwinden, mach dir keine Sorgen.“
Die junge Frau hielt sich den Bauch, der ihre Schwangerschaft inzwischen deutlich erahnen ließ.
„Ja, vielleicht! Aber es war schon komisch. Ich habe tief in meinem Inneren so etwas wie einen Schuss gehört, dann bin ich aufgewacht. Das war irgendwie unheimlich, Papa!“, erwiderte sie.
„Leg dich wieder hin, Kind!“, gab Wilden zurück. „Das war ein Alptraum, sonst nichts!“
Es herrschte gähnende Finsternis in Franks Kopf. Dunkle, zeitlose Stille war alles, was geblieben war. Sein Geist war ausgeschaltet worden und begann in ein schwarzes Nichts hinabzurutschen.
Er nahm nichts mehr wahr, denn der Tod hatte damit begonnen, auch noch die letzten glimmenden Fünkchen seines Lebens mit knöchernen Füßen auszutreten. Der tapfere General hatte die Augen geschlossen und sich wie ein Säugling auf der
Weitere Kostenlose Bücher