Beverly Barton, Hexenopfer
Glas ihrer klobigen Silberuhr. »In fünf Minuten fängt er an.«
»Klingt gut.« Im Lauf der Jahre hatte sich Genny mit ihrer besten Freundin so manchen alten Film angesehen. Jazzy hatte unter anderem eine Leidenschaft für klassische Filme. Besonders für Romanzen.
Jazzy schaltete den Fernseher ein, streifte ihre Schuhe von den Füßen und ließ sich auf den Stuhl fallen. Genny entspannte sich und wartete auf den Beginn des Films. Sie plauderten noch eine Weile, doch sobald Cary Grant auf dem Bildschirm erschien, sagte Jazzy kein Wort mehr.
Ungefähr nach einer Stunde wurde Genny schläfrig. Sie gab sich große Mühe, gegen ihre Benommenheit anzukämpfen, konnte letzten Endes aber nicht widerstehen. Sie schloss die Augen.
Dunkle, wirbelnde Nebel tauchten in ihrem Kopf auf. Tiefer, scharlachroter Dunst wurde immer dunkler, bis schwarze Wolken den Nebel vertrieben. Eine Frau weinte und flehte um Gnade. Sie wollte nicht sterben. Tränen rannen über ihr Gesicht. Genny sah die Silhouette eines Gesichts, das von einer Art Schleier verhüllt wurde. Sie versuchte das Gesicht zu erkennen, doch irgendetwas hielt den Schleier an Ort und Stelle.
Sie vernahm die Gedanken der Frau. Hilf mir! Oh Göttlicher Luzifer, ich bin deine ergebene Dienerin. Lass mich nicht im Stich.
Esther Stowe!
Genny musste das Gesicht nicht sehen, um zu wissen, wer die Frau war. Warum hatte sie eine Vision von Esther? Ob Esther tatsächlich das vierte Opfer des Mörders wurde? Konnte Genny ihren beeinträchtigten Sinnen trauen?
Krieg einen klaren Kopf, sagte sich Genny. Konzentrier dich nicht auf Esther. Du hast versucht, dich auf Misty Harte zu konzentrieren, aber das führte dich nicht rechtzeitig zu ihr, um ihr zu helfen. Du weißt, mit wem du Kontakt aufnehmen musst. Wenn du in seinen Kopf kommst, besteht die Möglichkeit, dass du Esther und dich selbst retten kannst.
Die Dunkelheit kehrte zurück, aber dies war ein anderes Reich der Finsternis. Noch böser. Und die Präsenz, die sie spürte, war viel teuflischer. Er war so gottlos und pervers wie der Teufel, den Esther zu beschwören versucht hatte.
Wer bist du?, fragte Genny.
Genevieve Madoc, bist du das?
Sie hatte die Verbindung hergestellt! Der Himmel stehe ihr bei.
Ich habe mich gefragt, wie lange du wohl brauchen würdest, um mich zu besuchen, sagte er, doch Genny erkannte seine Stimme nicht, denn er sprach stimmlos mit ihr. Geist zu Geist. Gedankliche Schwingungen.
Hast du Esther Stowe jetzt bei dir?, fragte Genny.
Das willst du mich eigentlich nicht fragen, oder?
Wirst du Esther umbringen? Wird sie dein viertes Opfer sein?
Morgen bei Tagesanbruch wird sie geopfert. Und dann hole ich dich.
Angst nagte an Gennys Verstand wie eine ätzende Säure. Und diese Angst unterbrach die Verbindung zum Geist des Mörders.
Genny schrie auf: »Nein, nein. Komm zurück.«
Plötzlich packten starke Arme Genny und hielten sie fest. Irgendwo außerhalb ihrer selbst, in einer Wirklichkeit, die weit entfernt war vom inneren Kampf, der sie quälte, hörte sie Menschen sprechen.
»Was zum Teufel ist passiert?«, fragte Dallas mit wütender Stimme.
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Jazzy. »Sie ist eingeschlafen, während wir uns den Film angeschaut haben. Ich dachte, sie würde sich ausruhen, bis sie anfing, sich zu drehen und zu winden und vor sich hin zu murmeln. Ich habe versucht, sie zu wecken, aber sie hat nicht reagiert.«
Dallas schüttelte Genny ganz sanft. »Genny, Schatz, wach auf. Hörst du mich? Komm sofort wieder zu mir zurück.«
Gennys Augenlider flatterten. Sie gab sich große Mühe, die Tiefen ihres Unterbewusstseins zu verlassen, doch irgendetwas hielt sie dort fest.
»Holen Sie eine Krankenschwester«, forderte Dallas.
»Sie braucht keine Schwester«, sagte Jazzy. »Ich habe sie schon so erlebt. Schon oft. Sie hat ein Problem, in die Wirklichkeit zurückzukehren, ins echte Bewusstsein. Sprechen Sie weiter mit ihr.«
Jazzy ging auf die andere Seite des Bettes, setzte sich und begann, Gennys Wangen zu tätscheln. »Mach die Augen auf. Ich weiß, es ist nicht leicht, aber du kannst es. Komm schon. Arbeite daran. Hör auf meine Stimme und auf Dallas’ Stimme.«
»Genny, du musst zu mir zurückkommen«, bat Dallas. »Jazzy hat recht. Du kannst es.«
Sie spürte Jazzys Hände auf ihrem Gesicht, vernahm ihre Stimmen, empfand ihre Besorgnis. Ihr war, als würde sie in einem Teich aus Dunkelheit ertrinken, und je stärker sie versuchte, wieder an die Oberfläche zu
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