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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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Teig für die Brötchen. Wenn sie Wacho die Versorgung überlassen würden, wären sie schon längst verhungert. Durch das Fenster beobachtet Jula, wie Marie über den Hauptplatz rennt, dann langsamer wird und zu den Wurzeln der Linde trottet.
    »Die Arme«, sagt Jula, »das ist bestimmt alles ziemlich viel für sie.«
    »Ich habe das Gefühl, Marie kommt sehr gut klar. Vielleicht besser als wir anderen.«
    »Kann sein. Clara sollte nach David sehen«, sagt Jula.
    »Wenn der nicht will«, sagt Eleni. »Dann kann man nichts machen.«
    »Vielleicht will er ja«, sagt Jula. Eine Weile arbeiten sie stumm nebeneinander, das Backen fühlt sich wie Alltag an, einen Alltag hatten sie schon lange nicht mehr.
    »Was macht Marie da bei den Wurzeln?«, fragt Jula.
    »Spielen vermutlich.«
    »Ein seltsames Spiel.«
    »Tja«, sagt Eleni und: »Was meinst du, was ihr früher für einen Blödsinn gemacht habt?«
    »Jules und ich?« Eleni nickt.
    »Vermisst du früher?«, fragt sie.
    »Manchmal ja, aber nur selten«, sagt Jula.
    »Zeiten gehen vorbei, andere kommen, weißt du.«
    »Mama, wie du redest!«
    »Du hast recht. Wo ist dein Bruder?« Jula sagt nichts, sie sieht durchs Fenster zu Marie hinüber, die bis zum Bauch zwischen den Wurzeln steckt. Vermutlich sucht sie etwas, was sie dort nicht finden wird. Jula bezweifelt, dass hier überhaupt noch irgendwer irgendwas finden kann. Es könnte sein, dass sie selbst die Letzte ist, die hier etwas gefunden hat.
    »Ich muss los«, sagt sie, und ihre Mutter fragt nicht, wohin. Der Radius ist noch kleiner geworden. Man kann nur noch laufen und stehen, sich umschauen in der Leere und warten. Mehr ist nicht zu tun, mehr bleibt ihnen nicht.
     
    Die ersten Busse des Tages rollen an, die Touristengruppen kommen heute früher als sonst. Jetzt, wo das Wetter besser geworden ist, eignet sich der Besuch für einen Familienausflug. Die Kennzeichen der Fahrzeuge deuten auf weite Anreisen hin, darauf, dass sich die Geschichte davon herumspricht, dass hier immer noch Menschen leben, bis zum bitteren Ende.
    Es gab Anfragen bei den Anwohnern, ob sie Lust hätten zu helfen, ob jemand Führungen machen möchte. Hinter den Kulissen des Untergangs . Robert hat darüber nachgedacht, ganz kurz. Dann hat er sich vorgestellt, wie er die Leute mit ihren Kameras durch den Ort führt und wie ihm nicht einfällt, was er sagen soll. Kann er von Greta sprechen, die seit Wochen das rote Motorrad schiebt wie andere in ihrem Alter einen Rollator? Kann er den Touristen von den Zwillingen erzählen, die einmal unzertrennlich waren und nun wie zwei Fremde wirken, die zufällig aus dem gleichen Gesicht in die Welt schauen? Von David, der unbeachtet in seinem Zimmer verkümmert, während Milo stumm vor der Tür sitzt? Von sich selbst und seinem Proteststück, das mittlerweile fünf Stunden dauert, unzählige Akte hat und immer noch nicht umfassend genug anklagt? Robert hat sich gegen die Führungen entschieden, auch wenn sie das Geld brauchen könnten für den Neuanfang, weil fast alle Ersparnisse aufgebraucht sind, weil
Clara nur noch der Routine wegen in ihrer Praxis sitzt und Spritzen verteilt und weil er für sein Stück bei dessen einziger Aufführung keinen Eintritt nehmen wird. Er will den Besuchern nichts erzählen, sie sollen nichts von den Übriggebliebenen wissen, wenigstens das, wenigstens ein Geheimnis für die Letzten vor Ort, zumindest den Anschein von Würde und einen Hauch von Mysterium wünscht Robert sich für sie alle.
    Und trotzdem schlendert er ausnahmsweise über den Hauptplatz, gibt sich durch den leeren Blick und das Fehlen einer Kamera als einheimisch zu erkennen und wird erwartungsgemäß sofort angesprochen von einem freundlichen Pärchen in den mittleren Jahren.
    »Sind Sie von hier?«, fragt die Frau.
    »Ja«, sagt Robert und spielt misstrauisch.
    »Ach«, sagt die Frau. »Das tut mir leid.«
    »Warum?«, fragt Robert. Die Frau überlegt, ihr Mann distanziert sich, betrachtet ausgiebig den Brunnen vor den Trümmern des Tore.
    »Na ja, weil hier alles zerstört wird.«
    »Ja«, sagt Robert. »Das ist schade, nicht?« Er hat keine Lust auf dieses Gespräch. Heute nicht, heute kein Mitleid einsammeln und keine ratlosen Blicke. Robert gibt der Frau einen Handzettel. »Falls Sie im nächsten Monat hier sind, kommen Sie doch vorbei.«
    »O ja«, sagt die Frau und: »O nein. Wir sind nur heute da. Für ein paar Stunden. Wir kommen von sehr, sehr weit weg.«
    »Schade«, sagt Robert und lässt sie

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