Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
Vom Netzwerk:
fliegende Eleni ist ein guter Grund für ein Lächeln.
    Wacho greift sich das Album, gestern ist er bis zu Davids viertem Geburtstag vorgestoßen. Heute will er es bis zum sechsten schaffen, danach endet die Dokumentation der Familie Wacholder. David jedenfalls, David mit vier, vor ihm ein Kuchen, die Kerzen brennen, gleich wird David sie auspusten. Wacho denkt an die Geschichte vom Piraten, vom Piraten hat er David damals noch nichts erzählt, das war vor dem ersten Verschwinden vollkommen unnötig. Er könnte die Treppe hochgehen und nach David sehen, ihn fragen, ob er
noch eine Geschichte hören möchte. Er hat ihm lange nichts erzählt, seit Davids Geburtstag nicht mehr. Das könnte Wacho, das kann er nicht. Die Treppe hinaufgehen gehört zu den Dingen, die Wacho inzwischen unmöglich erscheinen. Er kann nicht zu David gehen, nicht das Haus verlassen, nicht seine Schuhe anziehen und nicht den Tisch abräumen. Aber eine Möglichkeit gibt es, eine Sache kann geschehen, wird geschehen, muss: Anna wird wiederkommen zu ihm, noch bevor das Wasser da ist, wird sie die Tür aufschließen, den Schlüssel hat sie mitgenommen, das ist einer der Gründe zu hoffen, und sie wird in die Diele treten und dann zu ihm, an seinen Stammplatz in der Küche. Wacho wird aufstehen, er wird sagen: »Was für ein Zufall, gerade habe ich durch die Bilder geblättert und dabei auch ein bisschen an dich gedacht.« Anna wird lächeln, sie wird auf ihn zugehen und er auf sie und dann wird er sie wieder bei sich haben und alles wird gut. Alles und für immer.
     
    Sie treffen sich jetzt regelmäßig, sie haben Rituale entwickelt, sie wissen, woran sie sind beim anderen. Alles läuft routiniert, aber abseits der plattgewalzten Pfade. Mit Julas Gelbhelm läuft alles in Richtung Zukunft, während der Rest der Welt auf sein Ende zutreibt. Seit der Sommer in aller Konsequenz da ist, seit von morgens bis abends die Sonne scheint, ist es einfacher geworden, zusammen zu sein und an nichts anderes zu denken als an genau das.
    Sie treffen sich am Ortsrand, noch hinter der Stelle, an der einmal Milos und Davids Haus fest auf dem Boden stand, da gibt es zwei große Steine und dahinter finden sie Schutz. Jula nimmt die Picknickdecke mit, die sie im Rathaus gefunden hat. Die Decke lag im Keller auf einem Stapel Sommerzeug. Jula hat sich nichts gedacht dabei und sie fühlt sich nicht schlecht, und Wacho oder David planen bestimmt kein Picknick. Auf dem Rückweg ans Tageslicht hat Jula das Porträt entdeckt, oder vielleicht war es andersherum, vielleicht hat
das Porträt Jula zuerst gesehen. Es wirkt alt und vergessen, an einigen Stellen ist die dicke Ölfarbe aufgeplatzt, aber der Kerl hat sie angesehen, als hätte er etwas mit alldem hier zu tun, als ginge ihn das was an. Der Blick hat sie eingeschüchtert, ihr Plan kam ihr mit einem Mal albern vor. Jula hat sich beeilt, wieder nach draußen zu kommen, zu ihrem sonnenverbrannten Vogelmann, mit dem alles so schrecklich schön ist und normal.
    Heute Abend kommt er zu spät, das passt nicht in ihr Konzept der Sicherheitszone.
    »Unten spielen sie verrückt«, sagt der Vogelmann. Jula küsst ihn zur Begrüßung, fährt ihm über die Federn, durchs Haar, übers Gesicht, sie mag seine Nase, seinen Mund, seine Augen, sie mag alles an ihm, mittlerweile sogar den Helm. Sie liegen nebeneinander, vor einiger Zeit wären über ihnen noch die Baumkronen gewesen, die haben sie noch getrennt erlebt.
    »Warum spielen sie verrückt?«, fragt Jula, die sich immer noch vorstellen kann, dass alles abgeblasen wird und auf Anfang zurückgespult irgendwie. Es muss doch möglich sein, die Frage ist nur, ob das noch irgendwer will.
    »Wegen des Festes, sie wissen nicht, ob sie erwünscht sind.«
    »Ganz bestimmt nicht«, sagt Jula. »Wer sollte sie dabeihaben wollen?«
    »Die Firma«, sagt er. »Die sponsert ja alles, und die meinen wohl auch, dass das gut sei für die Kommunikation. Frag mich nicht, wie die sich das vorstellen.«
    »Gehst du hin?«, fragt Jula.
    »Soll ich?«
    »Ich nehme dich mit.« Bestimmt grinst er jetzt und will sich das eigentlich verkneifen, damit sie nicht merkt, wie sehr es ihn freut. Jula bekommt es kurz mit der Angst zu tun, das Angebot ist ihr so rausgerutscht, eigentlich glaubt sie nicht, dass es eine gute Idee ist, ihn mitzunehmen.
     
    Eleni kann nicht mehr, für heute reicht es mit dem Springen, vielleicht ist es sogar für immer genug. Auf wackligen Beinen geht sie über den Platz zum Rathaus. Im

Weitere Kostenlose Bücher